Liebe und Gerechtigkeit lassen Gewaltzahlen sinken

von Nina Bundels

Freitag, 01.01.2021

Mann schlägt Kind (Symbolfoto)
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Schläge waren früher ein akzeptiertes Erziehungsmittel. Heute ist Gewalt gegen Kinder verpönt. (Foto: Pixabay)

„Mann erschießt Ex-Frau“ oder „Messer-Attacke auf dem Schulhof“ - Schlagzeilen wie diese legen das Gefühl nahe, dass es in Deutschland immer mehr Gewaltkriminalität gibt. Doch der Kriminologe Christian Pfeiffer sagt: Die Gewalt ist auf dem Rückzug.

Den stärksten Rückgang gebe es Pfeiffer zufolge beim Delikt Sexualmord: „Um 90% Rückgang in den  letzten 30 Jahren. Aber auch Schusswaffen-Tötungen haben um 83% abgenommen seit der Wiedervereinigung.“ Zahlen, die Hoffnung geben für ein friedvolles Miteinander. Statistiken zeigen demnach, dass Kriminalität und Gewaltverbrechen zurückgehen. Auffällig sind dabei vor allem zwei Phänomene, erklärt Kriminologe Christian Pfeiffer: „Erstens: Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung geht die Gewalt umso stärker zurück, je schwerer die Tat ist. Zweitens gilt: Je jünger die Altersgruppe ist, umso stärker geht die Gewalt zurück.“

Warum das so ist, darauf hat Christian Pfeiffer eine Antwort: Liebe und Gerechtigkeit sind die besten Waffen gegen Kriminalität. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Wandel der Erziehungskultur. Früher  waren Züchtigung und Schläge noch gängige Erziehungsmethoden, heute sind sie verboten. Aus Sicht von Christian Pfeiffer hat diese Entwicklung viel mit einer Rede der berühmten Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren zu tun.

Als sie im Jahr 1978 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, hielt  Lindgren in ihrer Dankesrede ein flammendes Plädoyer für eine gewaltfreie Kindererziehung. Unter anderem sagte sie damals: „Die Intelligenz, die Gaben des Verstandes mögen zum größten Teil angeboren sein, aber in keinem neugeborenen Kind schlummert ein Samenkorn, aus dem zwangsläufig Gutes oder Böses sprießt. Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun. (…) Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken. Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seinen Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt.“

Nach dieser mitreißenden Rede, so Christian Pfeiffer, habe es in Deutschland eine riesige Eintrittswelle in den Kinderschutzbund gegeben, und auch die Politik habe sich von den veralteten und oft gewalttätigen Erziehungsmethoden verabschiedet. Doch nicht nur Liebe und Zuwendung sind Gründe für den Rückgang von Kriminalität. Genauso wichtig ist der gerechte und faire Umgang miteinander, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer: „Wenn die Autoritätspersonen – Polizisten, Lehrer, Arbeitgeber, Vorgesetzte - wenn die ständig einen ungerecht behandeln, willkürlich behandeln, dann schiebt man viel Frust. Und wer nach oben bücken muss, wird nach unten treten. Irgendwo muss man es loswerden. Man braucht ja dann ein Ventil für all den angestauten Ärger der durch Ungerechtigkeit erwächst.“

Die Kriminalitäts- und Gewaltentwicklung in Deutschland hat auch die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ im April 2019 unter die Lupe genommen. In dem Bericht werden viele von Pfeiffers Beobachtungen bestätigt. Unter anderem heißt es dort zum Beispiel: „In den vergangenen zwanzig Jahren ist die Gewalt an Schulen in Deutschland um fast 40 Prozent zurückgegangen. Das belegen die Zahlen der Unfallversicherer: Im Jahr 1999 kamen auf 1.000 Schüler an allgemeinbildenden Schulen noch 14,4 »gewaltbedingte Schülerunfälle« – also Prügeleien, die eine medizinische Behandlung erforderlich machten. Im jüngsten Berichtsjahr 2017 waren es nur noch 8,7.“

Der gesamte ZEIT-Artikel mit dem Titel „Das Böse und wir“ ist hier nachzulesen.

Freitag, 01.01.2021