Kirchenasyl: Der Staat fährt einen härteren Kurs

von Bettina Furchheim

Sonntag, 30.06.2019

Campingzelt steht in einer Kirche
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Im Mai 2019 gab es bundesweit 422 Fälle von Kirchenasyl, davon allein 141 in NRW. (Foto: Basti Arlt / EKD)

Das sogenannte Kirchenasyl ist kein legales Rechtsmittel, um die Abschiebung von Flüchtlingen zu verhindern. Trotzdem haben staatliche Stellen diese Praxis bisher respektiert und entsprechende Fälle nochmals geprüft. Das hat sich jetzt offenbar geändert.

Jüngsten Zahlen zufolge gab es laut der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" Anfang Mai 2019 bundesweit 422 Fälle von Kirchenasyl. Unter den 671 Betroffenen sind aktuell auch 143 Kinder. Bei der überwiegenden Zahl der Kirchenasyle (88%) handelt es sich um sogenannte "Dublin-Fälle" (375). Das heißt, betroffen sind Flüchtlinge, die aus einem angeblich sicheren Ersteinreiseland der EU nach Deutschland gekommen sind. Dorthin sollen sie zurück – auch wenn es für sie dort gefährlich ist. So will es die sogenannte "Dublin-Verordnung" der EU, die im Kern besagt, dass ein Flüchtling, der nach Europa kommt, in dem Land seinen Asylantrag stellen muss, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.

Immer wieder treten in der Praxis jedoch Fälle auf, in denen eine Überstellung von Flüchtlingen aus Deutschland zurück in Ersteinreiseländer wie z.B. Bulgarien oder Ungarn eine unzumutbare Härte oder sogar Gefährdung darstellen würde. Besteht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trotzdem auf eine Rückführung, bleibt den Flüchtlingen nur das Kirchenasyl als letzte Hoffnung. In der Regel müssen sie mindestens sechs Monate unter dem Schutz der Kirche verbringen. Nach Ablauf dieser Frist können sie aus rechtlichen Gründen nicht mehr abgeschoben werden und erhalten ihr Asylverfahren in Deutschland.

Kirchengemeinden, die einem Geflüchteten in ihren Räumen Asyl gewähren, müssen grundsätzlich immer die Behörden darüber informieren. Unterliegt der Flüchtling der "Dublin-Verordnung", muss die Gemeinde außerdem ein ausführliches Dossier zusammenstellen, aus dem die Situation des Flüchtlings und die Gründe für einen Härtefall und damit die Gewährung des Kirchenasyls hervorgehen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" schreibt: "Die Dossiers werden mit dem Ziel eingereicht, dass das Bundesamt den Härtefall anerkennt, den Selbsteintritt Deutschlands erklärt und nicht mehr, aufgrund der dort erfolgten Erstregistrierung, ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. So soll vermieden werden, dass Betroffene in andere europäische Staaten abgeschoben werden und die Möglichkeit auf ein Asylverfahren in Deutschland eröffnet werden."

In der Vergangenheit hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die meisten Härtefälle Fälle noch einmal überprüft und seine zuvor negative Entscheidung korrigiert. So endeten in 2015 rund 80% aller Kirchenasyle für die Schutzsuchenden positiv. Diese Quote hat sich laut eines Berichts in der Süddeutschen Zeitung vom 17. Juni 2019 dramatisch verändert. Demnach wurden 2019 bisher fast alle beantragten Kirchenasyle abgelehnt und nur 1,4 Prozent anerkannt. Nur zwei Härtefälle wurden wegen des Kirchenasyls noch einmal überprüft.

In einer Pressemitteilung vom 11. Juni 2019 kritisiert das Ökumenische Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW diese Entwicklung: "«Die Quote der positiven Dossier-Entscheidungen ist miserabel und ein deutliches Signal dafür, dass nicht humanitäre Gründe, sondern rein formale Kriterien hier Maßstab des BAMF sind. Doch gerade die formale Entscheidung in Dublin-Fällen (…) ohne Berücksichtigung der individuellen oft dramatischen Notsituationen der Menschen führen erst dazu, dass Kirchenasyle in so hoher Zahl notwendig sind,» so Benedikt Kern, Theologe und Mitarbeiter des Netzwerkes, das Kirchengemeinden und Betroffene berät. «Die Regelung von 2015, nach der das BAMF in jedem Dublin-Kirchenasyl ein Dossier vorgelegt bekommen soll, ist spätestens mit dieser Entscheidungsquote ad absurdum geführt. Ich halte eine Fortführung dieser Dossierpraxis nicht für sinnvoll. Denn wir sehen, wie sehr das Kirchenasyl hiermit beschränkt, verbürokratisiert und verunmöglicht werden soll und wie wenig es dem BAMF darum geht, wirklich angemessen auf humanitäre Notlagen einzugehen.»

83 % der Kirchenasyle in NRW endeten in den letzten zwölf Monaten dennoch erfolgreich durch den Ablauf der Überstellungsfrist und ermöglichten somit für die Betroffenen eine Bleibeperspektive in Deutschland. Auch die Versuche des BAMF seit 2018 diese Frist im Kirchenasyl von sechs auf 18 Monate zu verlängern, werden von den Verwaltungsgerichten in NRW in den meisten Fällen zum Vorteil der Betroffenen entschieden, so dass Kirchenasyle in der Regel nach sechs Monaten beendet werden können."

Sonntag, 30.06.2019