Kirche: geliebt, gehasst, bedeutungslos?

von Achim Stadelmaier

Montag, 01.01.2018

Mann sitzt alleine in einer Kirche
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Kirche allein zu Haus: Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist seit Jahren rückläufig.

An Heiligabend sind die Kirchen immer voll – aber sonst? Die Sonntagsgottesdienste sind deutlich schlechter besucht, und seit Jahren klagen evangelische und katholische Kirche über sinkende Mitgliederzahlen. Wo steht Kirche heute?

Noch ist Deutschland ein mehrheitlich christliches Land. Die evangelische Kirche hat aktuell knapp 22 Millionen Mitglieder, auf katholischer Seite sind es rund 1,5 Millionen mehr. Damit gehören 55% aller Bundesbürger einer der beiden großen Konfessionen an. Nimmt man orthodoxe und andere kleinere Kirchen in die Zählung mit auf, so liegt der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung bei 58,3 Prozent.

Wie stark sich das Bild jedoch verändert hat, zeigt sich erst, wenn man einige Jahrzehnte zurückgeht. 1951 waren noch 96,4 Prozent der Bevölkerung in Westdeutschland Mitglied einer christlichen Kirche. Auf dem Gebiet der damaligen DDR waren es 1949 mit rund 92% ähnlich viele. Dort ging ihr Anteil aber wegen der atheistischen Ausrichtung des SED-Regimes bis 1988 auf knapp 40% zurück. Durch den Beitritt der DDR veränderte sich die konfessionelle Struktur im wiedervereinigten Deutschland erheblich, schreibt das Online-Lexikon Wikipedia: "Zwischen 1990 und 2013 ging die Zahl der Katholiken in Gesamtdeutschland um 16,1 Prozent und die der Protestanten um 22,6 Prozent zurück."

Ein Dossier der ZEIT vom Juli 2017 listet weitere Gründe für den Schrumpfungsprozess beider Konfessionen auf: "Beiden Kirchen macht vor allem der demografische Wandel zu schaffen. Die EKD teilte mit, rund 340.000 Mitglieder der evangelischen Kirche seien 2016 gestorben. Hinzu kamen außerdem rund 190.000 Kirchenaustritte. Im Gegensatz hierzu gab es nur 25.000 Kircheneintritte und 180.000 Taufen. Ähnlich sieht es bei den Katholiken aus."

Offenbar konnten selbst tief greifende Neuerungen wie die Frauenordination in der evangelischen Kirche oder das 2. Vatikanische Konzil auf katholischer Seite den Abwärtstrend nicht aufhalten. Andere gesellschaftliche Entwicklungen wie Emanzipation, die Anti-Baby-Pille und neue Erziehungsmethoden, aber auch technische und wissenschaftliche Fortschritte haben unter dem Strich zu einem Traditionsabbruch geführt. Kirchenmitgliedschaft ist kein Automatismus mehr, Weltendeutung kein Monopol der Kirchen, und religiöses Grundwissen wird kaum noch von einer an die nächste Generation weitergegeben.

Trotzdem sind katholische und evangelische Kirche immer noch ein extrem wichtiger Faktor und aus der deutschen Gesellschaft nicht wegzudenken. So gibt es bundesweit 600 Kliniken in kirchlicher Trägerschaft und mehr als 18.000 evangelische oder katholische Kindertagesstätten. Jede dritte KiTa wird damit von den Kirchen betreiben. Von den 1,4 Mio. Chorsängern in Deutschland singt mehr als die Hälfte in einem Kirchenchor (748.000). Und noch immer besuchen durchschnittlich 3,5 Millionen Menschen am Wochenende einen Gottesdienst. Das sind achtmal mehr Besucher als alle Bundesligastadien am Samstag und Sonntag zusammen haben.

Außerdem gehören die beiden Kirchen zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Allein die evangelische Kirche hat rund 236.000 Beschäftigte, weitere 1,1 Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich in den evangelischen Gemeinden. Hinzu kommen mehr als 525.000 hauptamtliche Mitarbeitende bei der Diakonie. Deren Angebote (31.500 stationäre und ambulante Angebote für Pflege, Betreuung und Begleitung von Menschen mit knapp 1,15 Millionen Betten/Plätzen) werden jährlich von zehn Millionen Menschen genutzt. 700.000 Ehrenamtliche unterstützen die Arbeit der Diakonie bundesweit.

Montag, 01.01.2018