Aus acht mach zwei: Gemeindefusionen in OWL

von Christopher Deppe

Sonntag, 05.03.2023

Matroschka-Pueppchen
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Vertriebene aus den Ostgebieten und geburtenstarke Jahrgänge bescherten der evangelischen Kirche bis Mitte der 1960er Jahre starken Mitgliederzuwachs. Gemeinden wurden geteilt, neue Kirchen gebaut. Jetzt kehrt sich der Trend um. (Foto: Pixabay)

Noch gibt es in Nordrhein-Westfalen rund 6.000 evangelische und katholische Kirchengebäude. Doch die Mitgliederzahlen der Gemeinden wie auch deren Finanzmittel schwinden. Auf längere Sicht werden deshalb etwa 2.000 Gotteshäuser nicht mehr gebraucht.

Allein in der Evangelischen Kirche von Westfalen wurden in den vergangenen 20 Jahre 78 Kirchen und 61 weitere Gottesdienststätten aufgegeben. Im Rheinland waren es zwischen 2008 und 2018 ähnlich viele, nämlich 150 insgesamt. Hintergrund ist ein dramatischer Schrumpfungsprozess der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Kurz nach dem 2. Weltkrieg waren über 50 Prozent der westdeutschen Bevölkerung Mitglied der evangelischen und etwas mehr als 40 Prozent Mitglied der katholischen Kirche. Im Vergleich zu 1949, als der Anteil der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung bei gut 90% lag, ist er 2021 erstmals unter die 50%-Marke gefallen: Die Katholiken machen noch 26 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, rund 23,7 Prozent sind Protestanten.

Eine im Mai 2019 vorgestellte Studie des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg geht davon aus, dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder beider Konfessionen bis zum Jahr 2060 halbieren wird – auf zusammen dann nur noch 22,7 Millionen. Die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erstellte Studie liefert den beiden Konfessionen nicht nur reichlich Zahlenmaterial, sondern zugleich auch Gründe für die zu erwartenden Entwicklungen. So hat der Mitgliederschwund zum einen demografische Gründe, zum anderen spielen aber auch kirchenspezifische Faktoren eine Rolle. Auf der Internetseite der EKD heißt es dazu u.a.:

„Die zukünftig zu erwartenden evangelischen Sterbefälle überwiegen bei weitem die Zahl der evangelischen Zuwanderer aus dem Ausland sowie die Zahl der Kinder, die von evangelischen Müttern zur Welt gebracht werden. Dieser Überhang an Sterbefällen über Geburten und Zuwanderung führt dazu, dass sich die Mitgliederzahlen bis 2060 um 24 Prozentpunkte verringern werden. Die Folgen des demografischen Wandels sind jedoch nicht allein für den Mitgliederrückgang verantwortlich. (…) Etwas mehr als die Hälfte des Mitgliederrückgangs basiert auf anderen Einflussfaktoren: dem Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten in die evangelische Kirche. Es werden nämlich nicht alle Kinder von evangelischen Müttern evangelisch getauft. Zusätzlich treten mehr Menschen aus der Kirche aus als in die Kirche ein. Setzt sich diese Entwicklung weiter fort, vergrößert sich der Mitgliederrückgang um weitere 28 Prozentpunkte. In der Summe bedeutet dies, dass die evangelische Kirche bis 2060 52 Prozent ihres Mitgliederstandes von 2017 verloren haben wird.“

Mit dem kontinuierlichen Rückgang der Kirchenmitgliedschaft ist zugleich auch ein Rückgang bei den Kirchensteuereinnahmen verbunden. Fabian Peters, der die Freiburger Studie mit erstellt hat, sagt dazu in einem Interview auf der Website der EKD: „Steigende Arbeitseinkommen der Kirchenmitglieder führen zwar auf der einen Seite zu höheren Kirchensteuereinnahmen. Da auf der anderen Seite zugleich der überwiegende Anteil der kirchlichen Ausgaben für Personal benötigt wird, sind damit auch höhere Personalausgaben verbunden. Die sinkende Zahl an Kirchensteuerzahlern wird dazu führen, dass die Einnahmen nicht im gleichen Maße wachsen wie die Ausgaben. Etwas abmildern wird diese Entwicklung die 2005 vom Gesetzgeber sukzessive eingeführte nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften – das wird die grundsätzliche Entwicklung aber nicht aufhalten. Wir kommen in unseren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass die Kirchensteuerkraft kontinuierlich sinkt.“

Mehr Zahlen und Grafiken zur Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft bis 2060 gibt es unter https://fowid.de/meldung/ekd-und-katholiken-deutschland-jahr-2060 . In NRW gibt es aktuell noch 2.634 katholische Pfarreien und evangelische Kirchengemeinden. Die verteilen sich wie folgt: Ev. Kirche im Rheinland (ohne Gemeinden in Hessen, Saarland und RLP) = 407 Gemeinden; Ev. Kirche von Westfalen = 465 Gemeinden; Lippische Landeskirche = 65 Gemeinden. Hinzu kommen die katholischen (Erz)Bistümer Köln (512 Pfarreien), Münster (208 Pfarreien), Paderborn (611 Pfarreien), Essen (40 Pfarreien) und Aachen (326 Pfarreien).

Am Beispiel der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), der zweitgrößten von insgesamt zwanzig evangelischen Landeskirchen in Deutschland, lässt sich der Schrumpfungsprozess anhand von Zahlen verdeutlichen. Am 1. Januar 2006 hatte die EKiR noch 2,94 Mio. Mitglieder und 798 Kirchengemeinden. Am 1. Januar 2022 war die Mitgliederzahl auf 2,35 Mio. und die Zahl der Gemeinden auf 643 gesunken. Indem Kirchengemeinden sich zu größeren Einheiten zusammengeschlossen haben, um z.B. Verwaltungs- und Gebäudekosten zu sparen, sind innerhalb von 16 Jahren demnach 155 Gemeinden „verschwunden“.

Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend aus den o.g. Gründen weiter fortsetzen wird – auch in anderen evangelischen Landeskirchen (wie auch in katholischen Bistümern). Zwischen dem Kriegsende 1945 und Mitte der 1970er Jahre erlebte die evangelische Kirche durch Flüchtlingsströme aus den Ostgebieten und hohe Geburtenraten („Baby-Boomer“) ein starken Mitgliederzuwachs. In der Folge wurden auch die Kirchengemeinden immer größer und deshalb vielfach geteilt, so dass ihre Zahl immer weiter wuchs. Neue Kirchengebäude und Gemeindehäuser wurden gebaut, neue Pfarrstellen eingerichtet.

Seit etlichen Jahren kehrt sich dieser Trend nun um: Die Zahl der Gemeindemitglieder sinkt, Gebäude werden überflüssig, der „Anzug“ aus früheren Jahren ist zu groß geworden und muss kontinuierlich an die aktuellen Zahlen angepasst werden. Wo in Wachstumszeiten Gemeinden geteilt wurden, werden sie heute wieder zusammengelegt.

Verstärkt wird diese Entwicklung durch die Personalentwicklung in der evangelischen Kirche: Ein großer Teil des Pfarrpersonals stammt selber aus den geburtenstarken Jahrgängen, die bis Mitte der 1960er Jahre geboren wurden. Sie werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, doch nicht alle Stellen werden dann auch wiederbesetzt werden. Zum einen, weil es nicht genug Theologiestudierende gibt, die nachrücken könnten und zum anderen, weil den Kirchen und Gemeinden infolge zurückgehender Kirchensteuereinnahmen das Geld für die entsprechenden Personalstellen fehlt. Auch das dürfte den Trend zu noch mehr Gemeindefusionen verstärken.

Sonntag, 05.03.2023