Flüchtlingstaufen: endlich frei glauben können

von Bettina Furchheim

Sonntag, 02.10.2016

Pate und erwachsener Täufling
Beitrag anhören

Flüchtlinge, die ihren christlichen Glauben in der Heimat nur heimlich leben konnten, empfinden die Taufe in Deutschland als Befreiung.

Mindestens 2.000 Flüchtlinge – vor allem aus dem Iran – haben sich laut einer Umfrage der Tageszeitung "DIE WELT" seit 2014 in Deutschland taufen lassen. Tatsächlich dürfte die Zahl sogar noch höher liegen. Was steckt dahinter?

Die Ergebnisse ihrer Umfrage veröffentlichte "DIE WELT" im Juli 2016 auf ihrer Onlineseite. Demnach haben die freikirchlichen Gemeinden der "Evangelischen Allianz" in den vergangenen zwei Jahren etwa 800 Flüchtlinge aufgenommen. Auf Seiten der insgesamt 20 evangelischen Landeskirchen zählte man im gleichen Zeitraum mindestens 1.200 Beitritte. Allein die Evangelische Kirche von Westfalen verzeichnete seit 2013 rund 200 Flüchtlingstaufen. "Das ist keine Massenbewegung, doch es ist in diesem Ausmaß neu", so die westfälische Präses Annette Kurschus laut einer Meldung der katholischen Nachrichtenagentur KNA.

Auffallend ist auch, dass die überwiegende Zahl von Flüchtlingen, die hierzulande zum Christentum wechseln, aus dem Iran stammt. Viele von ihnen seien dort mit dem Islam aufgewachsen, hätten sich dann aber in Deutschland entschieden, die Religion zu wechseln. Über die Motive dahinter sagt Pfarrerin Ute Saß, die selbst mehrere Flüchtlinge getauft hat: "Sie sagen, die Religion, in der sie aufgewachsen sind, hat ihnen nicht das vermittelt, was sie jetzt im christlichen Glauben erfahren: Dass Menschen füreinander da sind, dass sie friedlich miteinander umgehen, dass sie andere achten und respektieren. Und das erleben sie hier in den christlichen Gemeinden."

Neben Konvertiten, die vom Islam zum Christentum übertreten, hat Ute Saß aber auch Flüchtlinge in ihrer Gemeinde getauft, die schon in ihrer iranischen Heimat Kontakt zum Christentum gehabt haben. Dort hätten sie ihren Glauben aber nur in privaten "Hausgemeinden" leben können, denn offiziell Mitglied einer christlichen Kirche zu sein, sei im Iran sehr gefährlich, so die Pfarrerin.

Sie glaubt deshalb nicht, dass sich die Menschen nur taufen lassen, um ihre Aufenthaltschancen in Deutschland zu verbessern: "Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass Menschen das Gefühl haben: Wenn ich jetzt hier getauft werde, dann kann ich endlich das leben, was ich sowieso leben wollte. Natürlich ist der Gedanke dabei, dass das die Integration hier auch erleichtern kann." Zwar müssen die Flüchtlinge vor ihrer Taufe keine formale Prüfung ablegen. Dafür werden aber überall die Teilnahme an einem Vorbereitungskurs und regelmäßige Gottesdienstbesuche erwartet. Zwischen dem Taufbegehren und der tatsächlichen Taufe können deshalb mehrere Monate bis hin zu zwei Jahren vergehen.

Für Muslime bedeutet die christliche Taufe einen radikalen Schnitt, denn auf die Abkehr vom Islam steht in vielen muslimischen Staaten die Todesstrafe. Nicht selten bedeutet der Übertritt zum Christentum auch einen Bruch mit der eigenen Familie. Eine Garantie, nach der Taufe nicht in die muslimische Heimat abgeschoben zu werden, gibt es aber trotz allem nicht, schreibt die Wochenzeitung DIE ZEIT: "Denn die Gründe für den Glaubenswechsel werden von den Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie von Richtern überprüft. Der Flüchtling muss beweisen, dass er die neue Religion kennt, und glaubhaft machen, dass es ihm damit wirklich ernst ist. (…) Auch eine Abschiebung im Rahmen des Dublin-Abkommens, also die Rückführung in das erste EU-Land, in dem die Flüchtlinge ankamen, verhindert ein Glaubenswechsel nicht. Weil aber in den europäischen Staaten unterschiedliche Regeln gelten, kann eine Ausweisung etwa nach Schweden am Ende auch die erzwungene Rückkehr in den Iran bedeuten.
Sonntag, 02.10.2016