Wie Nazi-Christen die Bibel säubern wollten

von Caroline Peter

Donnerstag, 18.05.2023

Hakenkreuzfahnen in Nazi-Deutschland
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Während der NS-Zeit (1933 - 1945) dominierten und kontrollierten die Nationalsozialisten das gesamte öffentliche Leben. (Foto: pixabay.com/wikimediaimages)

Nur wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung begannen regimetreue Studenten damit, Stadt- und Unibibliotheken von unliebsamen Büchern zu säubern. Ab dem 10. Mai 1933 wurden Zigtausende Werke auf Scheiterhaufen öffentlich verbrannt.

Der NS-Propagandaminister Dr.Josef Goebbels war über die geplante Aktion informiert, sah sie aber als riskant an, weil die Nazis ihre noch junge Machtstellung erst festigen wollten, bevor man solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Angriff nahm. Die Initiative ging also nicht von staatlichen Stellen aus, sondern vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, der damit seine Nähe und Treue zum Regime unter Beweis stellen wollte. Mit involviert war auch die ebenfalls nationalistisch gesinnte Deutsche Studentenschaft

Den Auftakt zur Aussonderung zahlreicher Autoren*innen und zur Vernichtung ihrer Werke bildete die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin und 18 weiteren Universitätsstädten. Der konzertierten und gut organisierten sogenannten „Aktion wider den undeutschen Geist“ fielen unter anderem die Bücher von Berthold Brecht, Klaus und Heinrich Mann, Erich Kästner, Karl Marx, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Heinrich Heine, Franz Kafka, Joachim Ringelnatz, Nelly Sachs und Sigmund Freud zum Opfer. Insgesamt standen über 300 Autoren auf der „schwarzen Liste“ der Nazis. Die betroffenen Literaten waren entweder jüdischer Herkunft oder Regimekritiker und andere Oppositionelle sowie Schriftsteller und Wissenschaftler, deren Werke den Nazis als „undeutsch“, „zersetzend“ oder „entartet“ galten. Eine Liste aller Namen findet man hier.

Dem Berliner Beispiel folgten bis Oktober 1933 noch etwa 70 weitere Städte. Von Haslach im Schwarzwald bis hinauf nach Helgoland – überall wurden Bücher verbrannt und ihre Autoren verächtlich gemacht. Bevor die Werke ins Feuer geworfen wurden, benannten Rufer die angeblichen Frevel der Autoren. So hieß es zum Beispiel über den 1928 erschienen Welterfolg „Im Westen nichts Neues“: „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.“

Das Pforzheimer Morgenblatt vom 19. Juni 1933 berichtete wie folgt über die Bücherverbrennung am 17. Juni: „Mit einem Sprechchor einer Gruppe des Bundes deutscher Mädchen wurde die Bücherverbrennung eingeleitet. Unter den Klängen des Präsentiermarsches wurde sodann der Bücherhaufen angezündet und hellauf loderten die Flammen, als ein weiterer Feuerspruch von den Mädchen vorgetragen wurde. Buch auf Buch wurde in die Flammen geworfen, bis auch das letzte vom Feuer verzehrt war. Entblößten Hauptes sang sodann die Menge, die sich im Verlauf der Geschehnisse auf einige Tausend angesammelt hatten, den Choral: ‚Nun danket alle Gott‘. Mit dem Lied vom ‚Guten Kameraden‘ und einem dreifachen ‚Sieg heil‘ auf den Reichskanzler wurde die Feier geschlossen.“ (Quelle: Wikipedia)

Während auf diese Weise landauf, landab Universitäts-, Schul- und Stadtbibliotheken systematisch von unliebsamen Autoren und Werken „gesäubert“ wurden, begannen auch die nazitreuen Deutschen Christen eine „Säuberung“ ihrer Theologie. Im Mai 1939 feierten evangelische Theologen, Pfarrer und Kirchgänger auf Luthers Wartburg die Eröffnung des sogenannten „Entjudungsinstituts“. Dessen Ziel: die Bibel, die kirchliche Lehre, den Gottesdienst und auch alles andere an die Rassenideologie der Nazis anzupassen.

Dass das Christentum vom Judentum abstammt, dass Jesus selber Jude war und der größte Teil der Bibel jüdisch geprägt ist, hielt die nazitreuen Deutschen Christen nicht davon ab, die Glaubensgeschichte im Sinne der Nazis umzuschreiben. Auf angeblich wissenschaftlicher Grundlage sollte das "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" alle jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens beseitigen.

Seinen Sitz hatte das Institut im thüringischen Eisenach, und die Eröffnungsfeier fand unweit davon auf der Wartburg statt - dort, wo Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte. Die Orte waren bewusst gewählt, denn das sogenannte "Entjudungsinstitut" sollte eine "neue Reformation" einleiten: Die evangelischen Christen sollten "das Judentum überwinden, so wie Luther den Katholizismus überwand" - so die Forderung. Das Institut beschäftigte mehr als 200 Mitarbeiter, darunter Professoren, Kirchenräte, Superintendenten, Pfarrer, Lehrer, Schriftsteller und sogar Landesbischöfe. Getragen wurde es von elf evangelischen Landeskirchen.

1941 gab der Arbeitskreis Volkstestament ein "entjudetes" Neues Testament mit dem Titel "Die Botschaft Gottes" heraus. Jesus erschienen darin als arischer Kämpfer gegen die Juden. Katechismus und Lehrbücher erklärten das Christentum zur germanischen Religion, passend zur Rasse-Ideologie der Nazis und zur systematischen Judenvernichtung im Holocaust. Auch aus Liturgie und Kirchenliedern strichen die Nazi-Christen alles, was ihnen jüdisch erschien – darunter hebräische Worte wie "Halleluja" und jede Erwähnung von Israel als Volk Gottes.

Nach Kriegsende war zwar Schluss mit dem Institut, aber antisemitische Züge hielten sich noch jahrzehntelang in der evangelischen Theologie. So hat der Institutsleiter Walter Grundmann nur wenige Jahre nach 1945 die Ausbildung des theologischen Nachwuchses in Thüringen übernommen. Und der Kirchenmusiker Erhard Mauersberger, der während der Nazi-Zeit an einem "entjudeten" Gesangbuch arbeite, wurde 1961 Kantor an der bekannten Leipziger Thomaskirche und damit Leiter des Thomanerchores.

In der Nähe des früheren Institutsstandortes in Eisenach wurde am 6. Mai 2019 ein Mahnmal enthüllt, das an die unsägliche Aufgabe und Arbeit des "Entjudungsinstituts" erinnern soll. Die Installation nach einem Entwurf des Leipziger Künstlers Marc Pethran trägt u.a. den Satz "Wir sind in die Irre gegangen". Nach Worten der Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, nehme man damit Bezug auf das "Darmstädter Wort" der Kirchen von 1947. Damals schon hätten sich evangelische Christen zu ihrer historischen Mitverantwortung für die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus bekannt.

Donnerstag, 18.05.2023