Stichwort Hamas: Was steckt dahinter?

von Manfred Rütten

Sonntag, 29.10.2023

junger Mann versteckt sein Gesicht hinter enem Palästinenser-Tuch
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Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ist fast die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen jünger als 14 Jahre. Der Altersschnitt liegt bei gerade einmal 18 Jahren. (Foto: iuugh on Pixabay)

Am frühen Morgen des 7. Oktober 2023 feuerte die islamistische Terrorgruppe Hamas aus dem Gazastreifen heraus Tausende von Raketen auf Israel ab. Anschließend drangen Hamas-Kämpfer am Boden auf israelisches Staatsgebiet vor und töteten ca. 1.400 Menschen.

Rund 200 weitere Zivilisten wurden von der Hamas entführt und über die Grenze in den Gazastreifen verbracht. Wo sie festgehalten werden, ist derzeit unklar. Als Reaktion auf den Angriff hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum ersten Mal seit dem Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 einen Kriegszustand erklärt.

Der Gazastreifen ist 40 km lang und zwischen 6 und 13 km breit. Er hat eine Fläche von gut 365 qkm und ist damit etwa halb so groß wie Hamburg. Das Gebiet in seiner heutigen Form wurde 1967 von den Israelis im Zuge des sogenannten „Sechs-Tage-Krieges“ erobert. Damals hatte Ägypten einen wichtigen Seeweg für Israel gesperrt und an der Grenze Truppen zusammengezogen. Weitere arabische Nachbarländer waren dem Beispiel gefolgt. Um einem Angriff von mehreren Seiten zuvorzukommen, holte Israel zu einem Präventivschlag aus.

Der SPIEGEL schreibt dazu: „Die ägyptischen Piloten saßen am 5. Juni 1967 noch beim Frühstück, als Israel die erste Angriffswelle flog. Binnen drei Stunden war fast die komplette ägyptische Luftwaffe vernichtet, auch die Luftwaffe der Syrer und Jordanier wurde weitgehend zerstört. Jordanische Artillerie griff später Vororte Tel Avivs und Westjerusalem an. In den folgenden Tagen eroberten israelische Truppen den Sinai, den Gazastreifen, das von Jordanien besetzte Westjordanland und die Golanhöhen sowie Ostjerusalem. Israelische Fallschirmjäger sprengten sich einen Zugang zur Altstadt und standen erstmals seit 1949 wieder an der Klagemauer.“

Die Besetzung des Gazastreifens endete erst 2005, als die letzten israelischen Truppen aus dem Gebiet abzogen und in der Folge die radikal-islamische Hamas die Herrschaft übernahm. Im Gazastreifen leben heute 2,3 Millionen Menschen, davon alleine etwa 650.000 in Gaza-Stadt. „Viele Palästinenser leiden sehr darunter, dass es keine bessere Regierung gibt,“ sagt Prof. Dr. Wolfgang Reinbold. Er ist Theologe und Experte für interreligiösen Dialog bei der hannoverschen Landeskirche: „Das ist sicher wichtig zu sagen: nicht alle Palästinenser sind Terroristen, die Wenigsten sind Terroristen! Aber sie sind in der Hand von Terroristen.“

Als Reaktion auf die Angriffe der Hamas vom 7.10.2023 sickte das israelische Militär in einem ersten Schritt Bodentruppen in den Einsatz, um die eingedrungenen Hamas-Kämpfer aus den israelischen Städten, Dörfern und Kibbuzim zurückzudrängen. Offiziellen Angaben zufolge wurden allein dabei über 1.500 Terroristen getötet. Es wurden außerdem mehrere hunderttausend Reservisten einberufen und die israelische Armee startete Luftangriffe auf Ziele im dicht besiedelten Gazastreifen. Palästinensischen Angaben zufolge wurden dabei bisher etwa 4.000 Menschen getötet und etwa 12.500 verletzt.

Am 17. Oktober 2023 wurde das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza – das einzige christliche Krankenhaus in der Region - durch eine Explosion beschädigt. Etwa 500 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Die Terrorgruppe Hamas beschuldigt Israel, die Einrichtung mit einer Rakete beschossen zu haben. Das israelische Militär wiederum versuchte anhand von Videoaufnahmen und abgehörten Telefongesprächen zu zeigen, dass die Explosion durch eine fehlgeleitete Rakete der Hamas verursacht wurde, die eigentlich Israel treffen sollte. Die internationale Gemeinschaft forderte eine Untersuchung des Zwischenfalls. Sollte dies geschehen, dürfte es trotzdem Wochen oder gar Monate dauern, bis Ergebnisse vorliegen.

Unterdessen gehen in islamischen Staaten wie Iran, Irak, Pakistan, Bangladesch, Ägypten, Syrien und in Jordanien Hunderte, teilweise auch Zehntausende Menschen auf die Straße und solidarisieren sich mit den Angriffen auf Israel. In Deutschland wurden in den vergangenen Tagen sowohl pro-israelische als auch pro-palästinensische Demonstrationen beobachtet. Gleichzeitig verzeichneten Sicherheitsbehörden bundesweit einen dramatischen Anstieg antisemitischer Straftaten.

Für Sonntag, 22. Oktober 2023, ab 14 Uhr hatte die Deutsch-Israelische Gesellschaft unter dem Motto „Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus“ zu einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin eingeladen. Neben den Parteien CDU, FDP, Die Grünen, Die Linke und SPD sowie Gewerkschaften und Arbeitgeber unterstützten auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Deutsche Bischofkonferenz, die muslimische Alhambra-Gesellschaft und der Zentralrat der Juden den Aufruf. Hier finden Sie die entsprechende Pressemitteilung der EKD dazu.

Zu den Rednern während der Kundgebung, die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet wurde, gehörte auch die westfälische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD“, Annette Kurschus. Wir dokumentieren im Folgenden eine Pressemitteilung der EKD vom 23.10.2023 mit Zitaten aus ihrer Ansprache:

„»Es gibt kein Vertun: Massenmord ist Gottlosigkeit! Antisemitismus ist Gotteslästerung! Es gibt keine Rechtfertigung für Judenhass. Und jeder Versuch, das Massaker vom 7. Oktober zu relativieren, ist Antisemitismus. Jedes ‚Ja, aber‘ verharmlost.« Das hat Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, bei der Kundgebung am 22. Oktober am Brandenburger Tor betont.

Kurschus: »Auch wenn es keine Worte gibt, wäre es falsch zu schweigen. Was ich sehe, zerreißt mir das Herz. Und es muss immer und immer wieder ausgesprochen sein: Wir sind solidarisch mit Israel. Wir sind solidarisch mit Euch, den Jüdinnen und Juden hier in Deutschland. Die evangelische Kirche steht an Eurer Seite.«

Antisemitismus komme, so Kurschus, aus unserer christlichen Geschichte, und er keime in unserer Mitte: »Antisemiten sind auch unter unseren Kirchenmitgliedern. Das ist weder schicksalhaft noch gottgegeben. Wir haben es nicht ernst genug genommen. Es lässt sich verändern. Wir werden weiter dagegen arbeiten. Unbedingt.«

Und weiter: »Gott ist ein Gott des Lebens, oder es ist nicht Gott. Das ist die Grundgewissheit des Glaubens, und zwar in allen Religionen. Wer diese Wahrheit verlässt – in Hass oder Verblendung – der öffnet das Tor zur Hölle.«

Die Ratsvorsitzende schloss, an die jüdischen Geschwister gerichtet: »Ich gebe Euch mein Wort und versichere Euch: Unser Platz ist an Eurer Seite.«“

Sonntag, 29.10.2023