Laufgeschichten von Marathon bis Emmaus

von Katharina Larek & Manfred Rütten

Montag, 21.04.2025

eine Gruppe von Marathonläufern
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Die Marathonstrecke ist genau 42,195 Kilometer (oder 26,2 Meilen) lang. Das entspricht in etwa der Entfernung von Köln nach Düsseldorf oder von Potsdam nach Berlin. (Foto: Pixabay)

Seit Anbeginn der Zeit rennen Menschen – vor Angst, aus Hoffnung, aus Pflicht, aus Glauben. Doch es gibt Läufe, die sich tiefer in das Gedächtnis der Menschheit graben als bloße Fortbewegung. Es sind Wege, die zu Mythen und Symbolen wurden.

So wie einst König Heinrich IV., der in einem Akt demütiger Selbstaufgabe im Winter 1077 über verschneite Alpen nach Canossa zog. Kein Wettlauf, kein Triumphzug – sondern ein Bußgang, der ihn von seinem Ausgangspunkt in Speyer oder Worms zunächst über die Alpen führte. Wahrscheinlich überquerte er den Mont Cenis-Pass oder einen ähnlichen alpinen Übergang im Januar – mitten im Winter. Teilweise ritt er, teilweise ging er zu Fuß. Der Weg führte danach weiter durch das Aostatal, dann durch das Piemont und schließlich nach Canossa in der Emilia-Romagna. Die Entfernung, die der König dabei zurücklegte, wird auf 800 bis 1.000 Kilometer geschätzt, je nach genauer Route.

Das Ganze war eine Machtprobe zwischen Thron und Kirche, mit dramatischem Ausgang. Hintergrund war der sogenannte „Investiturstreit“ – ein zentraler Konflikt zwischen dem römisch-deutschen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert. Heinrich IV. beanspruchte das Recht, Bischöfe selbst einzusetzen (Investitur) – schließlich waren sie wichtige Machtträger im Reich. Papst Gregor VII. hingegen forderte, dass nur die Kirche geistliche Ämter vergeben dürfe. Er pochte auf die Trennung von weltlicher und geistlicher Macht.

1076 eskalierte der Streit: Heinrich setzte Gregor VII. kurzerhand ab (synodale Absetzung in Worms). Der Papst reagierte, indem er seinerseits den König exkommunizierte. Heinrich war damit nicht mehr Teil der Kirche, verlor seine Autorität und drohte, von Fürsten abgesetzt zu werden. Um den Kirchenbann aufheben zu lassen und seine Herrschaft zu retten, machte sich Heinrich im Winter 1077 auf den beschwerlichen Weg zur Burg Canossa, wo Gregor sich aufhielt. Dort stand er drei Tage barfuß im Schnee, im Büßergewand, fastend – ein öffentliches Zeichen von Reue. Gregor VII. hob den Kirchenbann auf. Doch es war kein dauerhafter Frieden. Schon bald entbrannte der Konflikt erneut, der Investiturstreit ging weiter. Heute steht der Ausdruck „Gang nach Canossa“ sprichwörtlich für demütiges Nachgeben in einer Machtfrage.

Nicht ganz tausend Jahre zuvor hatte ein griechischer Bote ganz andere Motive. Pheidippides, Soldat, Läufer, Legende – rannte nach dem griechischen Sieg über die Perser bei Marathon in atemloser Hast die gut 40 Kilometer nach Athen. Er sprach von Triumph – „Nenikékamen!“,(„Wir haben gesiegt“) – und starb. Sein letzter Lauf wurde zum Maß für Ausdauer. Er gab dem modernen Marathonlauf seinen Namen. Was viele nicht wissen: Pheidippides lief nicht nur nach Athen – Herodot erzählt, er sei sogar vor der Schlacht 240 Kilometer nach Sparta geeilt, um Hilfe zu erbitten. Heute ehrt man ihn mit dem „Spartathlon“, einem Ultramarathon von Athen nach Sparta.

In den Geschichten der Bibel wird ebenfalls viel gelaufen: Jünger, Propheten und Namenlose rennen aber nicht für Ehre oder Sieg – sondern für Wahrheit. Der Gang nach Emmaus zum Beispiel ist kein Wettlauf, sondern eine stille Pilgerfahrt zweier enttäuschter Jünger. Sie wähnen Jesus tot und machen sich von Jerusalem auf den 11 Kilometer weiten Weg ins benachbarte Emmaus. Unterwegs schließt sich ihnen ein fremder Wanderer an. Erst als sie am Abend das Brot mit ihm brechen, erkennen sie, dass es der auferstandene Jesus selbst ist, den sie da vor sich haben.

Ein Wettlauf mit dem Himmel, ein Symbol für göttliche Berufung ist auch der Lauf von Petrus und Johannes am Ostermorgen. Nachdem zuerst drei Frauen die Auferstehung Christi entdeckt und davon berichtet hatten, liefen auch die beiden Männer mit pochendem Herz zum leeren Grab. Johannes ist schneller, aber Petrus tritt als erster ein – ein kleiner, schöner Moment aus dem Leben zweier Männer, die alles auf eine Karte setzten. Denn manchmal beginnt eine neue Welt mit einem einzigen Lauf.

Der Prophet Elija wiederum macht sich auf den Weg nicht aus Angst, sondern vom Geist Gottes getrieben. Im Auftrag des Höchsten soll er das Volk Israel vom Baal-Kult (einem kanaanäischen Fruchtbarkeitsgott) zurück zum lebendigen Gott JHWH führen. Seine Mission war damit zutiefst geistlich: Elija sollte das Volk an den Bund mit Gott erinnern, an die Tora, an die Identität Israels als Gottes Volk. Auf dem Berg Karmel kam es schließlich zum „Showdown“: Elija forderte die Propheten Baals zu einem dramatischen Gottesurteil heraus – Feuer vom Himmel sollte zeigen, wer der wahre Gott ist (1. Könige 18). JHWH antwortete mit Feuer – Baal nicht.

Von einem Marsch besonderer Art berichtet die Bibel im Alten Testament, im 2. Buch Mose. Die Israeliten leben zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als 400 Jahren in Ägypten - anfangs als Gäste (zur Zeit Josefs), später als versklavtes Volk. Mose, der als (jüdisches) Findelkind am Hofe des Pharaos aufwächst, wird von Gott berufen, die Israeliten zu befreien (Gott im brennenden Dornbusch). Erst nach zehn Plagen, die Ägypten heimsuchen (u.a. Finsternis, Heuschrecken, Tod der Erstgeborenen) lässt der Pharao das Volk endlich ziehen. Damit beginnt die Wanderung ins „gelobte Land“ nach Kanaan.

Luftlinie beträgt der Weg dorthin nur etwa 250 bis 300 Kilometer. Aber statt der kürzesten Route entlang der Mittelmeerküste („Via Maris“), wählen die Israeliten eine lange, beschwerliche Route, die sie u.a. über die Halbinsel Sinai führt – vermutlich absichtlich, um nicht sofort in Kämpfe mit anderen Völkern zu geraten (2. Mose 13,17). Wie die Bibel berichtet, führt Gott sie in einer Wolkensäule bei Tag und als Feuersäule bei Nacht. Am Berg Sinai empfängt Mose die Zehn Gebote, und sein Volk schließt den Bund mit Gott. Der Weg durch die Wüste ins gelobte Land war ca. 1.000 Kilometer lang und dauerte nach biblischen Angaben 40 Jahre.

Montag, 21.04.2025