Franz Hitze: An die Ränder gehen

von Stefan Klinkhammer

Freitag, 02.04.2021

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Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Foto: KiP-NRW

Heute im „Mittag" auf den NRW-Lokalradios: Das „Karfreitagsgespräch" mit Thomas Sternberg, Präsident des ZdK. Unter anderem über „ein ganz merkwürdiges Multitalent“: Franz Hitze, einen Priester, ohne den unser Sozialstaat nicht zu denken wäre ...

INFO: Am 16. März 2021 jährt sich zum 170. Mal sein Geburtstag, am 20. Juli zum 100. Mal sein Todestag 1921 in Bad Nauheim: Franz Hitze galt in seiner fast 40-jährigen beruflichen Tätigkeit als der einflussreichste deutsche parlamentarische Sozialpolitiker und als der sozialpädagogische Altmeister der katholischen praktisch-sozialen Arbeit. In der mehr als 150-jährigen Tradition des sozialen Katholizismus in Deutschland nimmt er einen herausragenden Platz ein. Von Bismarck als „agitierender Kaplan" bezeichnet, war er maßgeblich an den Grundlagen des heutigen Sozialversicherungssystems im Deutschen Kaiserreich und an dessen praktischer Umsetzung in der Weimarer Republik beteiligt.

Franz Hitze, geboren am 16.3.1851 in Hanemicke, heute Teil von Olpe, stammte von einem großen Bauernhof, kam aber früh bereits mit dem Elend der Arbeiterschaft in Berührung. Schon während seines Studiums der Theologie in Würzburg (1872-1877) plädiert er in Vorträgen vor seinen Mitstudenten im katholischen Studentenverein Unitas für eine grundlegende Sozialreform. Es entstanden die Schriften Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung (1877), Quintessenz der sozialen Frage (1880) und Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft (1880). Nach der Priesterweihe 1878 ging er für knapp zwei Jahre nach Rom und übernahm 1880 das Amt des Generalsekretärs des Verbandes Arbeiterwohl in Mönchengladbach, einem Zusammenschluss von katholischen Fabrikanten, Intellektuellen und Geistlichen. Von 1882-93 und 1898-1912 gehörte Hitze dem Preußischen Abgeordnetenhaus an, 1919 der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung in Weimar und von 1884-1921 dem Deutschen Reichstag. 1920 wurde er Ehrenvorsitzender der Zentrumspartei. Ab 1893 hatte Hitze in Münster die erste Professur für christliche Gesellschaftslehre weltweit inne und galt in seiner Arbeit im Reichstag als einer der wichtigsten Fachpolitiker in der Sozialpolitik. In seinen Schriften stehen dabei weniger theoretischen Erörterungen im Vordergrund, sondern Beispiele praktischer Sozialpolitik, der Bildungs- und Erziehungsarbeit für die Arbeiter, für den Arbeitsschutz und Möglichkeiten wirtschaftlicher Selbsthilfe. Auf den deutschen Katholikentagen plädierte er für ein offensives Eintreten der Kirche in der sozialen Frage, plädierte für die Gründung katholischer Arbeitervereine und gilt als Mitbegründer der Katholischen Arbeiterbewegung und Christlicher Gewerkschaften. Zur Koordination und Zusammenfassung der sozialcaritativen Arbeit der Kirche in Deutschland unterstützte er die Gründung des Deutschen Caritas-Verbandes, der 1897 in Köln ins Leben gerufen wurde.

Der maßgeblich von Franz Hitze initiierte und 1890 gegründete Volksverein für das Katholische Deutschland wurde bis zum Ersten Weltkrieg die größte katholische Massenorganisation. Sie erzielte durch staats-, wirtschafts-, sozial-, kultur- und gesellschaftspolitische Bildungsarbeit eine große Breitenwirkung – auch gegen staatliche und innerkirchliche Widerstände: Der in Mönchengladbach ansässige Verein entfaltete eine breite publizistische Tätigkeit und setzte sich durch millionenfach verbreitete Flugblätter, Zeitschriften und Bücher für die christlich-sozialen Ideen ein. Schulungen, Kurse und Lehrgänge im Dienst der Volksbildung wurden insbesondere von den katholischen Arbeiter-Organisationen wahrgenommen und trugen dem Verein den Namen Mönchengladbacher Galopp-Universität ein. Zahlreiche Vertreter der katholischen Verbände bildeten ein großes Netzwerk und stiegen bis in hohe politische Funktionen auf. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte der Volksverein über 800.000 Mitglieder. 1933 wurde er wie seine über 6.000 Ortsgruppen in Deutschland von den Nationalsozialisten verboten und zerschlagen.

Katholisch-Soziale Akademie Franz Hitze-Haus: Das 1952 gegründete FRANZ HITZE HAUS ist eine Einrichtung des Bistums Münster und wird vom Bistum getragen. Sie steht im Verbund der 23 katholischen Akademien in Deutschland ist nach dem Weiterbildungsgesetz NRW anerkannt. Sieben Fachbereiche bieten ein Programm mit Veranstaltungen zur politischen, sozialen, theologischen, kulturellen und wissenschaftsbezogenen Bildung und Begegnung. Neben Themen aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kunst, Literatur, allgemeine Zeitfragen und interdisziplinärer Dialog spielen historisch bedingt Fragen zur Sozialethik, die sich mit der sozialen Verpflichtung des Christen zur Mitgestaltung der Gesellschaft beschäftigen, eine besondere Rolle. Kontakt: Katholisch-Soziale Akademie FRANZ HITZE HAUS, Kardinal-von-Galen-Ring 50, 48149 Münster, Tel. 0251 / 98180, Fax 0251 / 9818-480, E-Mail: info(at)franz-hitze-haus.de, Internet: https://www.franz-hitze-haus.de.

VIDEO: Zum Hintergrund haben wir uns anlässlich der Veröffentlichung der Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 vor fünf Jahren an einem filmischen Überblick zur katholischen Sozialbewegung versucht, in der Franz Hitze ebenfalls vorkommt: Rerum novarum: Sozialenzyklika vor 125 Jahren veröffentlicht

Unser Gesprächspartner: Thomas Sternberg, geboren 1952 in Grevenbrück, absolvierte nach einer Bäcker-Lehre im elterlichen Betrieb 1974 am Abendgymnasium in Neuss sein Abitur und studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Theologie in Münster, Rom und Bonn. 1983 wurde er im Fach Germanistik in Münster mit einer Arbeit zur Lyrik Achim von Arnims promoviert, 1988 in Bonn im Fach Christlicher Archäologie über die Sozialeinrichtungen des 4. bis 7. Jahrhunderts. Sternberg, Vater von fünf Kindern, leitete von 1988-2016 als Direktor die Katholisch-Sozialen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster und war von 1997 bis 2013 Sprecher für kulturpolitische Grundfragen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), seitdem Mitglied im Hauptausschuss. Seit 1997 ist er Berater in der Kommission VIII (Wissenschaft) der Deutschen Bischofskonferenz.Sternberg ist seit 1974 CDU-Mitglied, gehörte 1989-2004 dem Stadtrat in Münster an, ist seit 2005 Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag, kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, gehört dem Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung an und ist seit 2012 Mitglied im Landesvorstand der CDU-Nordrhein-Westfalen. Am 20. August 2016 kündigte der Honorarprofessor für Kunst und Liturgie an der Universität in Münster an, dass er bei der Landtagswahl 2017 nicht erneut kandidieren wird. Sternberg ist seit 2010 im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks (WDR), engagiert sich im Kunsthochschulbeirat des Landes Nordrhein-Westfalen, ist Mitglied im Beirat der Kunststiftung NRW, im Kuratorium der Kunstsammlung NRW sowie im Vorstand der Landesmusikakademie NRW, Vorsitzender der Annette-von-Droste-Gesellschaft e.V., geschäftsführender Vorstand der Josef-Pieper-Stiftung und Mitglied im Kuratorium der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität. Ebenfalls tätig ist er als Mitglied im Beirat des Cusanuswerkes sowie als Kuratoriumsmitglied am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin. Am 20. November 2015 wurde er in Nachfolge von Alois Glück zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) gewählt. Thomas Sternberg ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK): Das aus dem 1868 gebildeten Zentralkomitee zur Vorbereitung der Deutschen Katholikentage hervorgegangene Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist als Zusammenschluss von Vertretern der Diözesanräte, der katholischen Verbände, von Institutionen des Laienapostolates und weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft die Dachorganisation der katholischen Laien in der Bundesrepublik. Es ist das von der Deutschen Bischofskonferenz anerkannte Organ, das die Kräfte des Laienapostolats koordiniert und soll die apostolische Tätigkeit der Kirche fördern. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist auch heute für Planung und Durchführung dieser Veranstaltungen sowie - auf katholischer Seite - für den Ökumenischen Kirchentag verantwortlich. Das Generalsekretariat des ZdK mit Sitz in Bonn will in einigen Jahren nach Berlin umziehen.

Organe des ZdK sind außer der Vollversammlung der Präsident, das Präsidium und der Hauptausschuss. Für Sachbereiche gibt es Sprecher. Der halbjährlich tagenden Vollversammlung gehören rund 230 Mitglieder an. 97 Mitglieder repräsentieren katholische Organisationen, Verbände und geistliche Gemeinschaften, 87 Mitglieder kommen aus den Diözesanräten. Zudem können alle vier Jahre von der Vollversammlung bis zu 45 Personen des öffentlichen Lebens ins ZdK gewählt werden. ZdK-Präsident ist seit 2015 der CDU-Politiker Thomas Sternberg, Geistlicher Assistent ist seit 2016 mit dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße, ZdK-Generalsekretär ist seit dem 1. Januar 2020 Marc Frings, der zuletzt das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah leitete. Internet: www.zdk.de.

Kontakt: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), Generalsekretariat, Hochkreuzallee 246, 53175 Bonn, Postanschrift: Postfach 24 01 41, 53154 Bonn, Tel. 0228 / 38 297-0, Fax 0228 / 38 297-44, E-Mail: info@zdk.de, Internet: http://www.zdk.de

 

Freitag, 02.04.2021