Breites Bündnis fordert: „Lieferkettengesetz jetzt!“

von Johanna Hofmann

Sonntag, 18.10.2020

Näherinnen in einer asiatischen Textilfabrik
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An einem T-Shirt, das in Deutschland für 5 Euro verkauft wird, verdient eine Näherin in Bangladesch gerade einmal einen Cent. (Foto: Pixabay)

Bangladesch, ein kleines Land östlich von Indien, gilt als die Nähstube der Welt. Auch Unternehmen aus Deutschland lassen hier ihre Textilien produzieren - und nehmen dabei Verstöße gegen Menschenrechte, Umwelt- und Arbeitsschutz in Kauf.

Fünf Millionen der 160 Millionen Einwohner von Bangladesch arbeiten in der Textilindustrie – die meisten davon sind Frauen. Von ihrem Lohn können sie kaum leben, und ihre Arbeitsbedingungen sind teilweise menschenunwürdig. Ihr Schicksal schockierte die Welt, als im April 2013 das Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch, in dem sieben Textilfabriken untergebracht waren, einstürzte. Obwohl schon Tage zuvor deutliche Risse im Mauerwerk das Unglück ankündigten, wurden die Arbeiter*innen gezwungen, weiter in dem Gebäude zu arbeiten. Bei dem Einsturz starben über 1.100 Menschen, mehr als 2.000 wurden zum Teil schwer verletzt.

Verstöße wie diese gegen Umweltauflagen, Arbeitsschutz und Menschenrechte gibt es immer noch in vielen Branchen weltweit: von der Kinderarbeit auf Kakaoplantagen und giftigen Chemikalien, die beim Gerben von Leder eingesetzt werden, bis hin zu Billiglöhnen, Streik- oder Gewerkschaftsverboten. Rohstoffe oder Produkte, die unter diesen Umständen hergestellt werden, gelangen über den Import auch nach Deutschland. Die dafür verantwortlichen Unternehmen sollen mit einem sogenannten Lieferkettengesetz verpflichtet werden, in Zukunft auf die Einhaltung von Menschenrechten sowie Arbeits- und Umweltschutz entlang ihrer gesamten Produktions- und Lieferkette zu achten.

Ein entsprechender Entwurf, vorgelegt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), wird auch von der Bundesumweltministerin Svenja Schulze unterstützt. Widerstand kommt dagegen aus dem Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU). Die Möglichkeit eines solchen Gesetzes war im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD festgehalten worden für den Fall, dass es zu keinen freiwilligen Zugeständnissen seitens der Unternehmen kommen sollte.

Am 14. Juli 2020 teilte das Bundesarbeitsministerium dazu mit: „Heute wurden dem Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung die Ergebnisse zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte vorgestellt. 7.300 größere deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden müssen zeigen, wie sie Menschenrechte und soziale Mindeststandards in ihren Wertschöpfungsketten sicherstellen. Von den rund 2.250 in der zweiten Fragerunde befragten Unternehmen haben nur 455 Unternehmen gültige Antworten zurückgemeldet. Das Ergebnis zeigt, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen. Die Gruppe der "Erfüller" hat sich im Vergleich zur Unternehmensbefragung 2019 in ihrer Größenordnung nicht maßgeblich verändert. Damit wird die nötige Quote zur Erfüllung klar verfehlt.“

Als Reaktion darauf wird Bundesentwicklungsminister Müller mit den Worten zitiert: „Die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung sind erneut enttäuschend. Zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, brauchen wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen, so wie im Koalitionsvertrag festgelegt. Die Wirtschaft ist eingeladen, sich offen und konstruktiv in den Prozess einzubringen. Fairer Handel in globalen Lieferketten ist der wichtigste Schlüssel für Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklungsländern. Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes werden. Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschlägt. Unser ökosoziales Wirtschaftsmodell kann Vorbild für eine globale Wirtschaft sein.“

Unterstützung für die Pläne von Müller und Heil kommt von einem breiten Bündnis von Organisationen und Verbänden, die sich zu der Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen haben. Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sind auch zahlreiche christliche Organisationen Teil des Bündnisses: Das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“, das katholische Hilfswerk Misereor, das Institut Südwind, der Weltladen Dachverband sowie die Christliche Initiative Romero.

Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) fordert eine schnelle Verabschiedung des vorgelegten Lieferkettengesetzes. In einer Pressemitteilung vom 7. Oktober 2020 heißt es dazu: „Rund um den Globus arbeiten Millionen Frauen in internationalen Lieferketten; ihre Rechte werden oft missachtet. Häufig sind sie sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt am Arbeitsplatz ausgesetzt und haben keine Beschwerdemöglichkeit oder rechtliche Handhabe, um dagegen vorzugehen. Die kfd sieht in einem Lieferkettengesetz einen notwendigen Schritt zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Unternehmen. »Unternehmen müssen endlich dazu verpflichtet werden, gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, auf faire Arbeitsbedingungen, Entgeltgleichheit und existenzsichernde Löhne bei ihren Geschäftspartner*innen hinzuwirken. Freiwilligkeit ist keine Option mehr«, sagt Monika von Palubicki (stellvertretende kfd-Bundesvorsitzende).“

Sonntag, 18.10.2020