Moria: Mehr Solidarität und Menschlichkeit nötig

von Achim Stadelmaier & Manfred Rütten

Sonntag, 18.10.2020

einfache Flüchtlingszelte stehen im Schlamm
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"Öffnet die Grenzen" steht auf einem Zelt, in dem Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen müssen. (Foto: Pixabay)

Nachdem das Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos in der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 durch ein Feuer völlig zerstört wurde, haben die griechischen Behörden inzwischen ein Ersatzlager errichtet. Aber die Lage bleibt weiter angespannt.

Max Weber, der in Berlin Theologie studiert und außerdem für eine kirchliche Friedensinitiative arbeitet, war Mitte September 2020 auf Lesbos und hat das neue Lager und die Verhältnisse dort mit eigenen Augen gesehen: „Menschen schlafen vielfach auf dem Boden, das Ganze ist ein Schotterboden, das ganze Lager ist direkt am Meer gebaut, das heißt, es ist kalt nachts, es sind starke Winde, die genau an der Seite reinkommen – das Lager ist als solches an einem nicht sinnvollen Ort aufgebaut, und die Umstände sind auch da weiterhin katastrophal.“

Der Europa-Abgeordnete der Grünen, Erik Marquardt, sieht das ähnlich. Gegenüber dem ZDF sagte er: „In dem neuen Lager sind Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet sind und Menschen, die negativ getestet sind, zusammen hinter Stacheldraht isoliert. Das ist ein Verbrechen. Hier laufen auch Minensuch-Trupps herum. Die finden zwar wahrscheinlich keine Minen, aber Blindgänger von Mörser-Granaten, weil das vor einiger Zeit noch ein Schießplatz war.“

Neben dem Lager auf Lesbos, das inzwischen wieder mit 7.000 bis 8.000 Flüchtlingen belegt ist, existieren auf den griechischen Nachbarinseln wie Chios, Samos, Leros und Kos ebenfalls Auffanglager. Auch hier leben die Flüchtlinge unter teils katastrophalen Bedingungen. So ist das Lager auf Samos, das eigentlich nur für rund 650 Flüchtlinge ausgelegt ist, mit 4.500 Menschen fast um das Siebenfache überbelegt (Stand 22.09.2020). Entsprechend schwierig gestaltet sich die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und medizinischer Hilfe.

Unter dem Titel „Hilfe für Moria jetzt! - die Zeit drängt“ hat sich Anfang Oktober die 6. ordentliche Vollversammlung der Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) einem Offenen Brief von Pro Asyl, Brot für die Welt, der Diakonie und anderer NGOs angeschlossen, in dem Bundeskanzlerin Angela Merkel bezüglich der aktuellen Situation in Moria zum Handeln aufgefordert wird. Wir dokumentieren nachfolgend den entsprechenden Beschluss der ESG:

"Ausdrücklich fordern wir: Katastrophenhilfe jetzt – Hilfe an und für die betroffenen Menschen jetzt. Dazu gehört der sofortige Beginn der Evakuierung und die Auflösung der Hotspots an den EU-Außengrenzen. Wir haben Platz. Wir nehmen mit Dankbarkeit wahr, dass es Menschen und Kommunen in Deutschland gibt, die Menschen aus Moria aufnehmen wollen. Wir können die politischen Überlegungen, dass es eine europäische Lösung geben muss, gut nachvollziehen. Nur: Die Zeit dafür fehlt angesichts der Situation in Moria. Die Angst, einen erneuten Präzendenzfall zu schaffen, oder gar die Suche nach Schuldigen bzw. dem parteipolitisch Angemessenen sollte nicht handlungsleitend sein. Europa muss die Menschenwürde und das Recht auf Leben an die erste Stelle setzen - und dabei sollte Deutschland mutig vorangehen. Fehlende europäische Solidarität kann keine Entschuldigung sein für fehlende Solidarität Deutschlands. Wir fordern insbesondere den Innenminister auf, die Aufnahmebereitschaft von Menschen in Deutschland nicht gering zu achten und die Angebote der Bundesländer, Städte und Kommunen nicht weiter zu behindern! Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik: Das Dublin-System und damit die Praxis, das Versagen der EU-Politik an oder hinter die EU-Außengrenzen zu verlagern, ist gescheitert. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss dringend dazu genutzt werden, das »Weiter so« der europäischen Flüchtlingspolitik zu beenden."

Sonntag, 18.10.2020