500 Jahre Evangelisches Gesangbuch

von Werner Beuschel

Sonntag, 21.01.2024

Text und Noten aus dem evangelischen Gesangbuch
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1950 schaffte die Evangelische Kirche in Deutschland erstmals ein Einheitsgesangbuch mit unterschiedlichen Regionalanhängen. Die jüngste Überarbeitung stammt von 1996. (Foto: Pixabay)

Alles begann mit ein paar wenigen Seiten: Im Jahre 1524 stellte der Drucker Jobst Gutknecht in Nürnberg ein kleines Heftchen her – das „Achtliederbuch“. Binnen weniger Jahre wuchs diese erste Sammlung geistlicher Lieder stetig – auch dank Martin Luther.

Der hatte 1517 mit seinem Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche seine Kritik an den Lehren der römisch-katholischen Kirche veröffentlicht und damit eine Zeitenwende eingeleitet: Die Reformation, die zur Kirchenspaltung und zur Gründung der evangelischen Kirche führte. Luther brachte nicht nur neue theologische Ideen ins Spiel, er brach auch mit etlichen katholischen Traditionen. So predigte er nicht auf Latein, sondern bewusst in seiner deutschen Muttersprache. Und er wies der Musik und dem Gesang im Gottesdienst eine neue Rolle zu.

"Luther war ein Mensch, der musikalisch hoch gebildet war", sagt der Mönchengladbacher Kirchenmusiker Udo Witt: "Luther konnte singen, Luther konnte Laute spielen und war mit den damaligen Komponisten in ganz engem Kontakt." Sein Talent und seine Liebe zur Musik setzte er ein, um auch selber Melodien und Texte zu schreiben. Er übersetzte lateinische Hymnen ins Deutsche, schrieb eigene Liedtexte in seiner Muttersprache und ließ sie im Gottesdienst singen. Das verlieh seiner reformatorischen Bewegung Bekanntheit und damit enormen Auftrieb. Außerdem erhielt die versammelte Gottesdienstgemeinde durch Luther eine völlig neue Rolle. War sie bis dahin in den katholischen Messen zum Schweigen und Zuhören verdammt, konnte sie nun aktiv an der Gottesdienstgestaltung mitwirken – durch ihren Gesang.

Der Kirchenmusiker Udo Witt formuliert es so: "Für Luther war die Gemeinde nicht ein zu bepredigendes Volk, sondern sie waren alle Gläubige. Und sie hatten auch eine Botschaft zu verkünden. Die Gemeinde fühlte sich auf einmal ernst genommen." Um das Mitsingen zu erleichtern, setzte Luther bei seinen Liedern auf Melodien, die bereits bekannt waren. So nutzte er für sein Lied "Christum wir sollen loben dich schon" einen alten lateinischen Hymnus, der seit dem frühen Mittelalter gesungen wurde. Das Weihnachtslied "Vom Himmel hoch da komm ich her" basierte in der ersten Version auf einem alten deutschen Spielmannslied. Erst 1539 komponierte Luther eine eigene Melodie dazu.

Luthers erste Lieder entstanden 1523. Dazu zählen u.a. "Nun freut euch, liebe Christen g'mein" (EG 341), außerdem Psalmlieder wie "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" (EG 299) und ursprünglich lateinische Hymnen wie "Nun komm, der Heiden Heiland" (EG 4), die Luther ins Deutsche übertrug. In den Jahren bis 1529 kamen vor allem liturgische Gesänge hinzu, darunter "Es ist gewisslich an der Zeit" (EG 149), die Vertonung des Agnus Dei (EG 190.2), und "Verleih uns Frieden gnädiglich" (EG 421).

Wie in der Weihnachtsausgabe 2023 der Süddeutschen Zeitung nachzulesen ist, schrieb Luther um die Jahresende 1523/24 herum einen Brief an Georg Spalatin, den Sekretär seines Gönners und Beschützers Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Darin heißt es u.a.: „Ich habe den Plan, nach dem Beispiel der Propheten und der alten Väter der Kirche deutsche Psalmen für das Volk zu schaffen, das heißt, geistliche Lieder, damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibt.“ Im selben Brief liefert er auch gleich ein Beispiel mit: Den von ihm selbst ins Deutsche übersetzten Psalm 130, den er mit „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ betitelte. Experten zufolge war dies die Geburtsstunde des evangelischen Gesangbuchs.

Aus dem 1524 veröffentlichten „Achtliederbuch“, das auf zwölf Seiten gerade mal acht geistliche Lieder versammelte (darunter allein vier von Martin Luther), wurde im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte ein umfangreiches Werk. Ein evangelisches Gesangbuch von 1760 enthielt „784 der besten und geistreichsten Lieder“, wie es auf dem Titelblatt vermerkt ist. Das heutige Gesangbuch beinhaltet auf gut 1.600 Seiten die Texte und Noten von knapp 700 Liedern, dazu aber auch noch im hinteren Teil viele Psalmen, Gebete sowie Vorschläge für Andachten und Gottesdienste. Mehr zur Geschichte des evangelischen Gesangbuches unter https://www.ekd.de/die-geschichte-des-gesangbuchs-52360.htm

Buchtipp:
Johannes Schilling + Brinja Bauer:
„Singt dem Herrn ein neues Lied: 500 Jahre evangelisches Gesangbuch“
Ev. Verlagsanstalt und Carus-Verlag 2023
294 Seiten, 25 Euro
Sonntag, 21.01.2024