„Sonntagspflicht“ – worum geht es?

von Christof Beckmann

Sonntag, 21.06.2020

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Die Sonntagspflicht ist ausgesetzt – vorerst. Doch virtuell feiert ja auch niemand Geburtstag, wenn er nicht dazu gezwungen ist, meint Prof. Dr. Alexander Saberschinsky. Was bleibt von den digitalen Aufbrüchen und den Debatten um die Feier der Liturgie?

INFO: Am 26. Februar 2020, zu Beginn der Coronakrise, hatte das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz bereits Empfehlungen zur Vermeidung von Ansteckungen mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) in Gottesdiensten und Kirchenräumen gegeben. Am 16. März vereinbarte die Bundesregierung mit den Bundesländern nach Rücksprache mit den Kirchen strenge Leitlinien zu „Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften“. Damit gab es ab dem 17. März auch in ganz Nordrhein-Westfalen vorerst keine öffentlichen Gottesdienste mehr. Bereits zuvor hatten die Bistümer Münster und Essen sowie die Erzbistümer Paderborn und Köln öffentliche Gottesdienste untersagt, um eine Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Als letzte NRW-Diözese sagte das Bistum Aachen alle Feiern ab. In fast allen 27 Diözesen wurden öffentliche gottesdienstliche Feiern ausgesetzt, die Gläubigen von der Sonntagspflicht entbunden (CIC, Canon 1248).

Am 20. März wandten sich die katholische, evangelische und orthodoxe Kirche in Deutschland in einem gemeinsamen Wort unter dem Titel „Beistand, Trost und Hoffnung“ an die Öffentlichkeit – es war das erste Mal, dass sich die drei Kirchen gemeinsam zu einer aktuellen Situation äußerten. Darin riefen die Kirchen, die rund 46,5 Millionen Gläubige vertreten, zu Zuversicht und Vertrauen auf. Jeder könne sich der solidarischen Unterstützung, des Beistands und Gebets gewiss sein. Da die Menschen momentan auf körperlichen Abstand achten müssten, dürften nicht zusätzlich Grenzen „in den Herzen hochgezogen werden“. Bedauern äußerten sie über die Aussetzung der öffentlichen Gottesdienste. „Gerade in schweren Zeiten ist es für uns Christen eigentlich unabdingbar, die Nähe Gottes zu suchen“. Der Verzicht sei jedoch notwendig: Es gelte, „die Pandemie so weit als irgend möglich einzugrenzen, deren schwerwiegende Auswirkungen wir alle persönlich zu spüren bekommen. Uns alle treffen Einschränkungen.“ Mehr auf der Themenseite Coronavirus – zur aktuellen Situation unter anderem Links zu den Maßnahmen aller (Erz-)Bistümer, Hinweise auf Gottesdienstangebote im Internet und Gebetsvorschläge des Deutschen Liturgischen Instituts. Mehr: https://www.dbk.de/themen/coronavirus/

Die Sonntagspflicht, auch Sonntagsgebot genannt, verpflichtet jeden Katholiken, an Sonntagen oder den Vorabenden die heilige Messe zu besuchen. Im Gesetzbuch der katholischen Kirche (CIC) heißt es in Canon 1248: „Der Sonntag, an dem das österliche Geheimnis gefeiert wird, ist aus apostolischer Tradition in der ganzen Kirche als der gebotene ursprüngliche Feiertag zu halten." Diese Regelung gilt auch für kirchliche Feiertage wie Weihnachten, Ostern oder Allerheiligen. Der Canon 1248 benennt aber auch Ausnahmen: Sie sind unter anderem dann gegeben, wenn ein Priester fehlt oder andere schwerwiegende Gründe vorliegen und „die Teilnahme an einer Eucharistiefeier unmöglich ist". Hier wird „sehr empfohlen, dass die Gläubigen an einem Wortgottesdienst teilnehmen" oder dass sie sich eine entsprechende Zeit lang dem Gebet widmen. Eine vergleichbare Vorschrift wie die katholische Sonntagspflicht gibt es in den meisten protestantischen Kirchen nicht, aber auch sie betonen den Wert des sonntäglichen Gottesdienstbesuchs.

Gottesdienste im Internet auf katholisch.de: Das Internetportal katholisch.de bietet eine Übersicht zu Gottesdiensten im Internet an. Sortiert nach den 27 katholischen Bistümern, gibt es hier Informationen zu Alternativen zu den Gemeindegottesdiensten vor Ort, die alle wegen der Corona-Krise ausfallen müssen. In vielen Bistümern werden Gottesdienste mit den jeweiligen Bischöfen übertragen. Dabei ist eine persönliche Teilnahme vor Ort überall ausdrücklich ausgeschlossen. Hier die Übersicht zu den Gottesdiensten auf katholisch.de.

Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. Alexander Saberschinsky, Referent für Liturgie in der Hauptabteilung Seelsorge des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln, plädiert für ein richtiges Verständnis des Kirchengebots: Die Kirche habe schnell gehandelt, die Sonntagspflicht aber nicht leichtfertig ausgesetzt. Tatsächlich müsse das Gebot im Sinne einer inneren Selbstverpflichtung und eines inneren Bedürfnisses zu verstehen sein, sich sonntags mit anderen Christen zu versammeln, um Jesus Christus ganz konkret im Sakrament der Eucharistie zu begegnen: „Wenn man die Sonntagspflicht so versteht, dann könnte sie eine Chance haben. Also: Ja, die Sonntagspflicht gibt es, die gibt es weiterhin. Aber vielleicht müssen wir sie neu entdecken.“

Zur Person: Prof. Dr. Alexander Saberschinsky, Jahrgang 1968, machte Abitur am Johannes-Gymnasium der Arnsteiner Patres in Lahnstein und studierte Katholische Theologie an der Theologischen Fakultät Trier sowie der Germanistik und Medienkommunikation an der Universität Trier. 1995-2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät, wurde 2001 zum Dr. theol. promoviert und übernahm 2001-2006 die Leitung der Bibliothek des dortigen Deutschen Liturgischen Instituts. Die weiteren Stationen: 2002-2015 Lehrbeauftragter im Priesterseminar „Studienhaus St. Lambert“, Lantershofen, 2004-2006 zugleich Studienleiter, seit 2006 Referent für Liturgie in der Hauptabteilung Seelsorge des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln und Dozent der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule Köln. Seit 2008 ist er Lehrbeauftragter für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abt. Paderborn / Fachbereich Theologie. Er wurde dort 2015 zum Honorarprofessor ernannt und nimmt verschiedene Lehraufträge, u.a. an der Bergischen Universität Wuppertal, wahr. Forschungsschwerpunkte sind Liturgiepastoral, Gottesdienstübertragungen und Erwachsenenkatechumenat. Kontakt: Erzbistum Köln – Generalvikariat, Marzellenstr. 32, 50668 Köln, Tel. 0211 / 1642 1279, Fax 0221 / 1642 1379, E-Mail: saberschinsky@liturgie.de.

Sonntag, 21.06.2020