„Ich habe noch nie solche Zerstörung gesehen“

von Werner Beuschel

Sonntag, 26.12.2021

Ein Notfallseelsorger läuft durch eine von den Sturzfluten zerstörte Straße in Bad Neuenahr.
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Schlamm, Schutt und Müll, der einmal Hausrat war: Ein Notfallseelsorger läuft durch eine von den Sturzfluten zerstörte Straße in Bad Neuenahr. (Foto: EKiR-Video / Marcel Kuß)

Im Hauptberuf ist Jörg Zimmermann evangelischer Pfarrer in der Neusser Christuskirchengemeinde. Weil er daneben aber auch eine Ausbildung zum Notfallseelsorger absolviert hat, wurde er unmittelbar nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 ins Ahrtal gerufen.

„Die Notfallseelsorge Bonn Rhein-Sieg, die direkt am Geschehen dran war, hat sich hier bei unserer Notfallseelsorge in Neuss gemeldet und um Verstärkung gebeten“, erinnert sich Pfarrer Zimmermann im Interview mit der Redaktion PEP. „Da habe ich mich sofort gemeldet – einmal weil ich früher selbst lange Jahre in Bonn tätig war und die dortigen Notfallseelsorger alle gut kenne, aber auch deswegen, weil ich es einfach für nötig hielt da mitzuhelfen.“ Was ihn im Einsatzgebiet erwarten würde, war nicht abzusehen. Nur soviel: „Mir war klar, dass es um die Betreuung von traumatisierten Menschen gehen würde, die durch diese Flut zu Schaden gekommen sind - sei es, dass sie Angehörige verloren hatten, sei es, dass ihr ganzer Besitz weggeschwemmt worden war oder ähnliches.“

Was Jörg Zimmermann dann vor Ort zu Gesicht bekam, hat er bis heute nicht vergessen: „Ich habe solche Bilder von Zerstörung so noch nie gesehen. Hier ging es um Naturgewalten, und da muss ich sagen, ich stand sprachlos vor einigen Szenarien, und man fragt sich, wie ein kleines Bächlein, das man da fließen sieht, zwei Tage vorher ein solch reißender Strom war, dass er ganze Häuser mitgenommen hat. Diese Bilder haben sich tief eingeprägt.“

Drei Tage und Nächte war der 60jährige Notfallseelsorger aus Neuss im Ahrtal im Einsatz. Besonders intensiv hat er dabei eine Frau begleitet und unterstützt, die bei der Flutkatastrophe ihren Mann verloren hat: „Er ist wohl noch mal in den Keller gegangen - warum wusste die Frau auch nicht so richtig zu sagen - und dann ist das Wasser durchgebrochen, ihm war der Rückweg versperrt, und das Haus ist fast bis zur 1. Etage überspült worden.“ Die Frau selbst konnte sich vor den Fluten retten, aber der Schock und die Trauer saßen tief, so Zimmermann.

Ruhig und konzentriert hat sich der Pfarrer mit dem grauen Vollbart der Frau und seiner Aufgabe gewidmet: „Notfallseelsorge besteht weniger darin, dass man irgendwelche schlauen Reden hält - im Gegenteil - das sollte man möglichst unterlassen. Stattdessen den Leuten signalisieren: Ihr seid nicht alleine, ich bin da. Es kam bei dieser Dame sofort eine Menge von Fragen und zwar alle zugleich auf, und dann kann man helfen, ein wenig zu strukturieren und ihr in alledem das Gefühl geben: Auch wenn du jetzt in einem totalen Abgrund guckst, du bist nicht alleine und es ist jemand da, der Dich auf diesem Weg wenigstens ein Stück weit begleitet.“

Sonntag, 26.12.2021