Statistik: Höchststand an Kirchenaustritten

von Stefan Klinkhammer

Sonntag, 03.07.2022

Außenaufnahme vom St.-Paulus Dom in Münster @ Bistum Münster / Montage KiP-NRW
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Außenaufnahme vom St.-Paulus Dom in Münster @ Bistum Münster / Montage KiP-NRW

Es wurde erwartet, aber die Zahl war dann doch ein Schock: Allein in Nordrhein-Westfalen sind im vergangenen Jahr knapp 100.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Reaktionen aus dem Bistum Münster ...

NFO: In Nordrhein-Westfalen sind so viele Menschen wie nie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Im vergangenen Jahr kehrten im bevölkerungsreichsten Bundesland 97.896 Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken, wie die am Montag in Bonn veröffentlichte Kirchenstatistik zeigt. Damit stieg die Zahl über den bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2019 mit rund 68.000 Austritten. Im Corona-Jahr 2020 war der Wert auf rund 50.000 gesunken.

Allein im Erzbistum Köln verließen im vergangenen Jahr 40.772 Menschen die katholische Kirche. Damit verzeichnete die Erzdiözese rund 41 Prozent aller Austritte in NRW. Der scheidende Kölner Generalvikar Markus Hofmann erklärte, das Erzbistum müsse anerkennen, „dass der schmerzvolle Weg der Aufarbeitung und andere Krisen das Vertrauen vieler Menschen in die Kirche heftig erschüttert haben“.

Von einem „Woelki-Tsunami“ sprach der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das „indiskutable Leitungshandeln“ von Kardinal Rainer Maria Woelki im Umgang mit Missbrauch sowie sein „recht fragwürdiger Umgang mit Kirchenvermögen“ habe sich auch auf die anderen Diözesen ausgewirkt.

Im Erzbistum Köln hat sich unter anderem an der Missbrauchsaufarbeitung eine Vertrauenskrise hochgeschaukelt. Nach Aufforderung des Papstes bot Woelki ihm vor einigen Monaten seinen Rücktritt an, worüber Franziskus noch nicht entschieden hat. Kritik gibt es auch, weil die Finanzierung einer neuen theologischen Hochschule ungeklärt ist.

Den aktuellen Zahlen zufolge ist in NRW noch gut jeder Dritte der rund 18 Millionen Einwohner katholisch. Im NRW-Gebiet des Bistums Münster traten 19.742 Menschen aus, im Erzbistum Paderborn 16.310, im Bistum Aachen 12.684 und im Bistum Essen 9.133.  Der Münsteraner Bischof Felix Genn zeigte Verständnis für Austrittswillige. Vor allem „gravierende Fehler kirchlicher Verantwortungsträger im Umgang mit sexuellem Missbrauch“ hätten zu den hohen Zahlen beigetragen. Er wolle sich für eine veränderte Haltung in der Kirche einsetzen.

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer bezeichnete es als „fatal“, dass die Missbrauchsaufarbeitung bundesweit uneinheitlich erfolge und sich über einen langen Zeitraum hinziehe. Zudem gebe es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Konsequenzen. „Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitung“, warnte Pfeffer.

Der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt rief seine Kirche auf, die „richtigen Wege der Erneuerung“ konsequent weiterzugehen. Auch der Aachener Generalvikar Andreas Frick verwies auf Veränderungsprozesse in seiner Diözese. „Immer mit dem sensiblen Blick darauf, was die Menschen von Kirche brauchen und wo diese Heimat bieten kann“, sagte er.

Auch deutschlandweit erklärten so viele Katholikinnen und Katholiken wie nie ihren Austritt - nämlich 359.338. Das Bundesland mit den höchsten Zahlen ist Bayern mit 100.872 Abmeldungen.

Von Anita Hirschbeck (KNA)

 

Bischof Felix Genn: Dank an alle, die sich in Kirche engagieren

Münster (pbm/sk). Die Zahl der Kirchenaustritte ist im Bistum Münster im Jahr 2021 auf einen historischen Höchststand gestiegen: 22.614 Katholiken erklärten ihren Austritt, das waren 9.916 mehr als im Vorjahr. Bisher hatte es im Jahr 2019 mit 16.654 Katholiken die höchste Zahl an Kirchenaustritten gegeben. 257 Personen, die sie früher einmal verlassen hatten, traten im Bistum Münster im vergangenen Jahr wieder in die katholische Kirche ein, hinzu kamen 105 Eintritte aus anderen christlichen Konfessionen. Wie die Bischöfliche Pressestelle am 27. Juni in Münster weiter mitteilte, wurden 2021 im Bistum 12.993 Menschen durch die Taufe in die Kirche aufgenommen, 3.189 mehr als 2020. Die aktuelle Katholikenzahl im Bistum lag Ende 2021 bei 1.763.393. Das sind rund 34.176 weniger als ein Jahr zuvor. Münster ist hinter dem Erzbistum Köln das zweitgrößte Bistum in Deutschland.

Einen deutlichen Rückgang gab es im vergangenen Jahr im Bistum Münster auch bei den Menschen, die sonntags an der Messe teilnehmen. 2021 waren es 65.016 Katholiken und damit 24.046 weniger als im Vorjahr. Einen Anstieg gab es 2021 bei Firmungen (2021: 10.334; 2020: 8.099), Erstkommunionen (2021: 13.929; 2020: 11.428) und kirchlichen Trauungen (2021: 1.609; 2020: 903). Leicht gestiegen ist die Zahl der Bestattungen (2021: 19.559; 2020: 19.487).

Der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, erklärt zu den Zahlen:

„Es ist schön, dass nach der Pandemie die Feier der Sakramente wieder lebendiger geworden ist. Gleichwohl wirkt die Pandemie gerade bei den Gottesdienstbesuchern noch nach. Und natürlich haben vor allem gravierende Fehler kirchlicher Verantwortungsträger im Umgang mit sexuellem Missbrauch zu den hohen Kirchenaustrittszahlen beigetragen. Von daher bedauere ich es sehr, habe aber auch Verständnis dafür, dass viele Menschen mit der Institution Kirche nichts mehr zu tun haben wollen.

Von daher gilt für mich das, was ich vor kurzem bereits im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Studie der WWU Münster zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Münster in einem Schreiben an die Haupt- und Ehrenamtlichen betont habe: Das, was viele engagierte Christinnen und Christen nur noch als übermächtige Institution, als erdrückende Struktur, als Amtskirche bezeichnen und wahrnehmen und erfahren, muss sich verändern. Viele von denen, die in der Kirche Verantwortung tragen, müssen ihre Haltung und ihr Verhalten ändern.

Insgesamt müssen wir als kirchliche Verantwortungsträger – und da schließe ich mich selbst ausdrücklich ein – Kirche in dieser Haltung leben: zugewandt, veränderungsbereit, lebendig, vielfältig, offen, dialogorientiert, im Dienst an den Menschen stehend, Gewalt, Unrecht und sexuellen Missbrauch bekämpfend. So verkünden wir die frohe und befreiende Botschaft Jesu Christi glaubhafter und überzeugender – in Wort und Tat. Dafür werde ich mich einsetzen. Und ausdrücklich danken möchte ich allen, die bei der Kirche bleiben. Mir ist sehr bewusst: Die Verantwortungsträger in der katholischen Kirche – vielleicht auch ich persönlich – haben es vielen engagierten Christinnen und Christen teilweise über Jahre oft schwer gemacht. Das muss sich ändern.

Zugleich bleibt es für mich beeindruckend, wie viele Menschen sich trotz allem und nach wie vor aus einem tiefen Glauben heraus in der katholischen Kirche im Bistum Münster engagieren. Diesen Menschen möchte ich von Herzen danken für ihren Einsatz, für ihre Glaubenszeugnisse und dafür, dass sie nicht wie viele andere sagen: Mir reicht’s. Ich gehe.“

Unser Gesprächspartner: Dr. Stephan Kronenburg, Pressesprecher des Bistums Münster, Domplatz 27, 48143 Münster, Tel.: 0251 / 495-1170, Mail: kronenburg[at]bistum-muenster.de, Internet: www.bistum-muenster.de,

Sonntag, 03.07.2022