Schulden: Beratungsbedarf steigt, Finanzierung stockt

von Friederike Ursprung & Manfred Rütten

Donnerstag, 16.06.2022

Eine ältere und eine jüngere Frau im Beratungsgespräch
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In der Schuldnerberatung kommen alle Verbindlichkeiten auf den Tisch. Ist der Schuldenberg zu hoch, kommt eine Verbraucherinsolvenz in Frage. (Foto: Pixabay)

Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, eine längere Krankheit oder der Verlust eines Ehe- oder Lebenspartners können zu Gehaltseinbußen führen. Plötzlich können die Betroffenen ihre finanziellen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen und geraten in die Schuldenfalle.

Nachdem die Zahl der überschuldeten Haushalte zuletzt drei Jahre hintereinander gesunken ist, dürfte sie in Zukunft wieder steigen. Hintergrund ist die seit Mitte 2021 steigende Inflation und die erheblichen Preissteigerungen bei Mieten, Energie- und Lebenshaltungskosten infolge des Ukraine-Krieges. Auf die Schuldnerberatungsstellen kommt damit noch mehr Arbeit zu, vermutet auch die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL). Sie fordert deshalb „einen finanziellen und personellen Ausbau von Schuldnerberatungsstellen.“

In der entsprechenden Pressemitteilung vom 30. Mai 2022 heißt es dazu weiter: “Gerade bei Schulden ist eine zeitnahe Beratung unabdingbar. Wir müssen die Schuldnerberatung deshalb dringend ausbauen und benötigen eine bundesweit verlässliche Finanzierung.“ Ein geordnetes Verfahren zur Schuldenregulierung begrenze den Schaden für Schuldner und Gläubiger und schütze vor dem sozialen Absturz. „Alle, die in Schwierigkeiten geraten, sollten einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie Beratung haben." Dieser Anspruch müsse auf Bundesebene gesetzlich verankert werden.

So verschieden die Gründe für eine Verschuldung oder Überschuldung sind, so unterschiedlich sind auch die Lösungen, die die staatlichen oder gemeinnützigen Beratungsstellen dann anbieten können. Dabei kommt es zum einen auf die Lebens- und Einkommensverhältnisse des Schuldners an, zum anderen aber auch auf die Art und die Höhe der Schulden.

Das Statistische Bundesamt stellt dazu in seiner Überschuldungsstatistik 2021 fest: „Weit häufiger als aufgrund von Mietschulden wurden Beratungen wegen Schulden bei öffentlichen Gläubigern durchgeführt. Dies traf auf über die Hälfte (57,2 %) der Beratungsfälle zu. Zu den öffentlichen Gläubigern zählen beispielsweise gesetzliche Renten- und Krankenversicherungsträger sowie die Bundesagentur für Arbeit oder deren Jobcenter. […] Ebenfalls deutlich häufiger als wegen ausgebliebener Mietzahlungen wurden überschuldete Personen wegen Rückstanden bei Telekommunikationsunternehmen beraten. Das traf auf knapp die Hälfte aller Fälle (48,9 %) zu.“

Obwohl die Miete einen großen Anteil ihres Budgets beansprucht, versuchen die Schuldner offenbar so gut und so lange wie möglich, Mietschulden zu vermeiden. Nur jeder fünfte Überschuldete (20,3 %) hatte offene Verbindlichkeiten bei seinem Vermieter und suchte deshalb eine Schuldnerberatungsstelle auf, so das Statistische Bundesamt. Die Frage, um welche Art von Schulden es sich handelt, ist für die Mitarbeiter in den Beratungsstellen von großer Bedeutung, erklärt Marco Ringeis von der Erwerbsloseninitiative der Diakonie Leipzig: „Das erste, was die Schuldnerberatung macht, ist überhaupt erstmal zu gucken, wie ist die Situation? Ist es jemand, wo wir sagen können: »OK, wir können in vier Wochen einen Termin machen, das reicht« oder ist der Klient, die Klientin in einer existenzgefährdenden Situation? Geht es um die Miete, um Stromsperren, dann müssen wir ganz kurzfristig auch Termine machen und das versuchen wir zu ermöglichen.“

Die Art und Höhe der Schulden sowie die persönliche Lebenssituation des Schuldners bestimmt das weitere Vorgehen der Beratungsstellen. Nach Sichtung aller Verbindlichkeiten, ihre Sortierung nach Dringlichkeit und ihre Prüfung auf Rechtmäßigkeit wird in der Regel versucht, den Schuldenberg gemeinsam mit dem Schuldner kontinuierlich abzubauen und am Ende zu begleichen. Dazu werden u.a. auch Verhandlungen mit den Gläubigern aufgenommen, um für jeden einzelnen Fall konkrete Zahlungspläne zu entwickeln und zu verabreden. Damit dem Schuldner auf jeden Fall genug zum Leben bleibt, kann auch ein sogenanntes Pfändungsschutzkonto eingerichtet werden. Ziel des Prozesses ist, dass der Klient am Ende schuldenfrei ist, sagt Marco Ringeis: „Wie kann ich meine Schulden nachhaltig abbauen? Krieg ich das hin mit dem Einkommen, was mir zur Verfügung steht? Und dann im zweiten Schritt: Wie kann ich auch zukünftig schuldenfrei leben?“

Immer wieder gibt es aber auch Fälle, in denen dieses Verfahren angesichts der Schuldenhöhe nicht greift. Dann – so Ringeis - kann die Schuldnerberatung eine Privat- oder auch Verbraucherinsolvenz in die Wege leiten, „wo es darum geht, einen Schnitt zu machen und die Schulden, die da sind, zu erlassen. Das passiert in den Fällen, wo einfach klar ist: Der kann das nicht mehr abbauen. Der wird ewig sonst mit diesen Schulden sein Leben bestreiten müssen. Und diesen Menschen eine neue Chance zu bieten und zu sagen: unter bestimmten Voraussetzungen gibt´s einen Neuanfang.“

Eine dieser Voraussetzungen ist die sogenannte „Wohlverhaltensperiode“. Die dauert heute je nach Zeitpunkt der Antragstellung zwischen drei und fünf Jahren. In dieser Zeit versucht der Schuldner so weit wie möglich seine Schulden zurückzuzahlen. Und wenn alle Gläubiger zustimmen, wird ihm dann am Ende der Laufzeit die Restschuld erlassen. Wertvolle Tipps rund um das Verbraucherinsolvenzverfahren gibt es u.a. auf der Internetseite der Verbraucherzentrale und auf einer besonderen Themenseite des Bayrischen Rundfunks

Donnerstag, 16.06.2022