Notruf: Pflegeheimen geht das Personal aus

von Carsten Griese

Sonntag, 21.08.2022

Frau mit Rollator auf dem Flur eines Pflegeheimes
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Der Personalmangel in der Pflege nimmt durch die Corona-Sommerwelle und die Urlaubszeit dramatische Züge an. (Foto: Manfred Rütten)

Die Personalsituation in den bundesweit rund 12.000 Alten- und Pflegeheimen war schon immer angespannt, die Dienstpläne „auf Kante genäht“. Zurzeit verschärft sich die Lage aber derart, dass die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) Alarm schlägt.

Es sei zur Zeit ein Balanceakt, einerseits die Mitarbeitenden arbeitsfähig und gleichzeitig die Pflege und Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner wie gewohnt aufrechtzuerhalten, sagte die Referentin im Zentrum Pflege des Diakonischen Werks RWL, Martina Althoff, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Personalsituation sei in vielen Pflegeheimen „sehr kritisch“.

Das liegt zum einen an der aktuellen Corona-Sommerwelle. Laut dem NRW-Gesundheitsministerium meldeten die vollstationären Pflegeeinrichtungen Mitte Juni 1.520 Corona-infizierte Pflege-, Verwaltungs- und Reinigungskräfte. Innerhalb von nur sechs Wochen habe sich deren Zahl verdoppelt – auf 3.048 (Stand 25. Juli 2022). Nach Angaben von Martina Althoff von der Diakonie RWL komme dann noch „der übliche Krankenstand“ hinzu. Dieser dürfte wegen der nun schon seit 2 ½ Jahren andauernden Corona-Pandemie mit ihren körperlichen und psychischen Belastungen für das Pflegepersonal höher liegen als normalerweise.

Zusätzlich verschärft wird die Personalsituation durch die Urlaubszeit. Gerade die Beschäftigten in der Pflegebranche brauchen dringend Erholung. Doch eine Pflegekraft, die für zwei oder drei Wochen in Urlaub geht, hinterlässt eine Lücke, die kaum zu füllen ist. Mitarbeitende müssten derzeit viele  Überstunden leisten und sogar freie Tage unterbrechen, um den Betrieb der Heime sicherzustellen, erklärt die Diakonieexpertin Martina Althoff. Manche Einrichtungen müssten notgedrungen sogar auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen.

Coronabedingt sind für alle Pflegeeinrichtungen nach wie vor sogenannte „Einlasskontrollen“ vorgeschrieben. Besucher müssen vor dem Betreten eine negativen Coronatest vorweisen. Auch diese Kontrollen – so Althoff – würden Personalressourcen binden. Mit dem Auslaufen des Rettungsschirms für die Pflege Ende Juni werde dieser Mehrbedarf allerdings nicht mehr refinanziert – was die ganze Situation zusätzlich belastet. Althoff befürchtet deshalb, dass etliche Leitungskräfte in den Pflegeheimen, „die die kritische Lage nun schon so lange managen müssen“, ihrem Beruf künftig den Rücken kehren könnten.

Mit den gleichen Problemen haben auch die Krankenhäuser in Deutschland zu kämpfen. Dazu meldete der Evangelische Pressedienst am 19. August 2022: „Die hohe Arbeitsbelastung findet sich in erschreckenden Zahlen wieder: Mehr als 92 Millionen Überstunden haben sich in deutschen Kliniken bereits in diesem Jahr angesammelt. Allein auf den Intensivstationen der Krankenhäuser fehlen rund 50.000 Pflegekräfte, wie eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie zeigt. Die Versorgungslücke wächst weiter. Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge könnten in Deutschland im Jahr 2035 bis zu 500.000 Pflegekräfte fehlen.“

Sonntag, 21.08.2022