Kirche & Diakonie fordern Kindergrundsicherung

von Jil Blume-Amosu

Sonntag, 27.12.2020

Euro-Schein und Münzen
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Staatliche Geldleistungen für Familien mit Kindern gibt es viele. Und mindestens genau so viele verschiedene Anträge und Zuständigkeiten. Das muss enfacher werden, sagen Kirche und Diakonie.

Kindergeld, Freibeträge, Kinderzuschlag, Bildungs- und Teilhabepaket – Vater Staat tut viel für Familien mit Kindern. Aber: es gibt zu viele verschiedene Zuständigkeiten, und manche Leistungen kommen bei den Familien gar nicht erst an.

Beispiel Kindergeld: Während die Arzt- oder Unternehmerfamilie unabhängig vom Einkommen das volle Kindergeld erhält, wird es bei Familien, die Hartz-4 beziehen, als Einkommen gewertet und entsprechend angerechnet. Heftige Kritik gibt es auch an dem 2011 eingeführten Bildungs- und Teilhabepaket für die laut Paritätischem Wohlfahrtsverband vier Millionen von Armut betroffenen Kinder in Deutschland. Viele Eltern wüssten laut Kinderschutzbund nicht, dass sie leistungsberechtigt sind, etliche scheiterten schon an der Antragstellung. Auch Schulen und Kindergärten kritisieren den bürokratischen Aufwand, um Zuschüsse zum Mittagessen, zu Ausflügen oder Klassenfahrten zu bekommen.

Nachdem die Bertelsmann-Stiftung Anfang Juli 2016 eine Studie vorstellte, nach der Alleinerziehende ein deutlich höheres Armutsrisiko haben, als zusammen lebende Eltern, hatte die Diakonie Deutschland schon vor vier Jahren eine bessere Grundförderung für alle Kinder und Jugendlichen gefordert. Statt vieler einzelner Leistungen plädierte die Diakonie für eine einheitliche finanzielle Grundsicherung. Zusammen mit mehr als 30 weiteren Verbände und Nichtregierungsorganisationen sowie Experten aus Wissenschaft und Kirchen appellierten sie damals in einem Aufruf an die Politik, Armut und Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen wirksam zu bekämpfen.

Auch der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) hatte den Aufruf unterzeichnet und sich für eine allgemeine Kindergrundsicherung stark gemacht, um die wachsende Kinderarmut zu bekämpfen. Die stellvertretende Bundesvorsitzende des VAMV, Erika Biehn, erklärte dazu 2016 im Interview mit der Redaktion PEP: "Kindergrundsicherung heißt bei uns, dass die Leistungen, die bisher vom Staat an Kinder gezahlt werden, alle zusammengefasst werden und in einer Leistung an alle Kinder ausgezahlt wird. Es gäbe dann kein Kindergeld mehr, es gäbe keine Ausbildungsbeihilfe mehr, es gäbe diesen Steuervorteil nicht mehr in der Form, (…) das wird dann zu einem Paket zusammengefasst, und wir diskutieren zur Zeit um einen Betrag von ca. 600 Euro."

Nun scheint endlich Bewegung in die Sache zu kommen: Am 26. und 27. November 2020 hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Bundesländer über die Einführung einer Kindergrundsicherung beraten und sie befürwortet. Die Diakonie sieht darin einen ersten Schritt in die richtige Richtung. In einer Pressemitteilung kommentierte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, die Beratungen so: "Das Wirrwarr von existenzsichernden Leistungen für Kinder vom Kindergeld über den Kinderzuschlag und Kinderregelsatz bis zum Kinderfreibetrag muss beendet werden. Viele Familien verlieren den Überblick und wissen nicht um die ihnen zustehenden Leistungen. Außerdem ist die Beantragung bürokratisch und kompliziert. Häufig werden Leistungen auch noch untereinander verrechnet. Das Ergebnis sind intransparente und ungerechte Auszahlungen. So kann es mitunter zu höheren Nettoleistungen bei höheren Familieneinkommen kommen als bei Niedrigsteinkommen. Deshalb müssen die existenzsichernden Leistungen für Kinder endlich vereinheitlicht und unkompliziert und bedarfsgerecht ausgestaltet werden. Eine antragsfreie Kindergrundsicherung mit einem existenzsichernden Sockelbetrag gewährleistet eine einfache und unkomplizierte Förderung von Kindern und Familien. Wohnkosten werden ergänzend finanziert. Bedürftige Familien erhalten zusätzliche Unterstützung. Wer mehr braucht, soll direkt mehr bekommen."

In einem Positionspapier vom 25.11.2020 plädiert die Diakonie für einen einkommensunabhängigen Sockelbetrag von 280 Euro für jedes Kind. Für einkommensarme Haushalte sieht das Papier verschiedene Höchstbeträge vor, die nach dem Alter der Kinder gestaffelt sein sollten: Für Kinder bis 5 Jahre sind demnach 320 Euro anzusetzen, für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren schlägt die Diakonie 390 Euro vor, und Kinder zwischen 14 und 17 sollen einen Höchstbetrag von 470 Euro pro Monat bekommen. Zusätzlich zu diesem Betrag würden die Kosten der Unterkunft und besondere Bedarfe finanziert.

Auch die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland hat sich zuletzt im Januar 2020 für die Einführung einer Kindergrundsicherung ausgesprochen, um der beklagten hohen Armut von Kindern und Jugendlichen endlich wirksam entgegen zu treten. Die inhaltliche Begründung für diesen Beschluss liefert eine Expertise der Armuts- und Sozialforscherin Dr. Irene Becker. Die gründliche wissenschaftliche Arbeit trägt den Titel: „Kinderarmut in Deutschland – Bestandsaufnahme und Möglichkeiten der Gegensteuerung.“ (PDF-Download)

 

Sonntag, 27.12.2020