Jesuiten: Unser Mann in Europa

von Johanna Risse

Sonntag, 09.05.2021

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Pater Martin Maier SJ, © SJ-Bild/Adveniat

Die „Gesellschaft Jesu“ ist seit ihren Anfängen eine europäische Gemeinschaft und in Brüssel präsent. Die existentielle Krise der Europäischen Union stellt auch die Jesuiten vor besondere Herausforderungen. Mehr mit Pater Martin Maier in Brüssel.

INFO: Die Gesellschaft Jesu ist seit ihren Anfängen eine europäische Gemeinschaft. Heute arbeiten acht Jesuiten aus sechs europäischen Ländern in den europäischen Werken in Brüssel. Die existentielle Krise der europäischen Union stellt sie vor besondere Herausforderungen. Pater Martin Maier ist nicht nur Hauptgeschäftsführer von Adveniat (Essen), dem Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, sondern auch Beauftragter für Europäische Angelegenheiten im Jesuit European Social Centre (JESC) in Brüssel. Mit ihrem Zentrum vertreten die Jesuiten in Brüssel die Anliegen des Ordens gegenüber der Institutionen der EU und wollen Visionen und Werte für Europa einbringen - vor allem den Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit, für den interreligiösen Dialog und die Inkulturation des christlichen Glaubens. Eine zentrale Leitlinie ist die Option für die Armen.  Kontakt: Jesuit European Social Centre, 51 rue du Cornet, B–1040 Brüssel, Tel. +32 (0)2 737 97 20, E-Mail: info(at)jesc.eu, Internet: http://jesc.eu/

Unser Gesprächspartner: Jesuitenpater Martin Maier, Hauptgeschäftsführer von Adveniat, ist auch Beauftragter für Europäische Angelegenheiten im Jesuit European Social Centre (JESC) Pater Martin Maier SJ, geboren 1960 in Meßkirch/Deutschland, trat 1979 in den Jesuitenorden ein. Er studierte Philosophie, Theologie und Musik in München, Paris, Innsbruck und San Salvador. 1988 wurde er zum Priester geweiht. Von 1989 bis 1991 war er in El Salvador Pfarrer einer Landgemeinde in den Kaffeebergen westlich der Hauptstadt. 1993 wurde er in Innsbruck mit einer Arbeit über die „Theologie der Befreiung von Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino“ zum Doktor der Theologie promoviert. P. Maier war von 1995-2009 als Redakteur und ab 1998 als Chefredakteur der renommierten Zeitschrift „Stimmen der Zeit“, von 2009 bis 2014 Rektor des Berchmanskollegs in München. Als Experte für Theologie der Befreiung ist er Gastprofessor an der Zentralamerikanischen Universität der Jesuiten (UCA) in San Salvador und hält Lehrveranstaltungen an der Universität in Mexiko-Stadt und Paris. Von 2014 bis Ende 2020 wirkte er als Beauftragter für Europäische Angelegenheiten im Jesuit European Social Centre (JESC) in Brüssel. Die deutschen Bischöfe wählten den Jesuiten bei ihrer Frühjahrsvollversammlung alsNachfolger von Pater Michael Heinz SVD zum Hauptgeschäftsführer von Adveniat (Essen), dem Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland. Kontakt: E-Mail martin.maier(at)jesuiten.org, Internet: https://www.adveniat.de/, https://www.jesuiten.org/

Die „Gesellschaft Jesu“: Der Jesuitenorden ist die größte männliche Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche. Gründer der „Gesellschaft Jesu“, so die offizielle Bezeichnung in Anlehnung an den lateinischen Namen „Societas Jesu“ (SJ), ist der Spanier Ignatius von Loyola (1491-1556). Unter der Devise „Alles zur größeren Ehre Gottes / Omnia ad majorem Dei gloriam” beschloss er die Gründung einer religiösen Gesellschaft. Nach einer Pilgerfahrt ins Heilige Land besuchte er die Hochschulen von Barcelona, Alcala und Salamanca, zuletzt in Paris und gründete hier mit Gesinnungsgenossen den Jesuitenorden, den er bedingungslos dem Papst unterstellte. Nach seiner Priesterweihe in Venedig wurde Ignatius durch Papst Paul II. mit der Bulle „Regimini militantis ecclesiae“ („Der Leitung der streitenden Kirche“) zum Generaloberen der am 27. September 1540 bestätigten Ordensgemeinschaft. Charakteristisch war eine für damalige Verhältnisse hochkarätige Ausbildung, die über das Studium der Theologie hinausging. Ignatius selbst musste sich dafür mehrfach vor der spanischen Inquisition rechtfertigen, verbrachte mehrere Monate im Gefängnis. Umstritten von Anfang an, expandierte der im Zeitalter der Gegenreformation wichtige Orden (Motto: „Gott in allem finden“) auch nach Südamerika und Asien.

Bei seinem Tod am 31. Juli 1556 zählte der Orden bereits mehr als 1.000 Mitglieder in über 100 Niederlassungen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der einflussreiche Orden aus immer mehr europäischen Ländern gewaltsam vertrieben. Papst Klemens XIV. veröffentlichte 1773 das Aufhebungsdekret. 1814 erfolgte durch Papst Pius VII. die Wiedergründung der Gesellschaft Jesu mit der päpstlichen Bulle „Sollicitudo omnium ecclesiarum”. Ordensgründer Ignatius, der in der Kirche II Gesù in Rom begraben ist, wurde 1622 heiliggesprochen; sein Fest wird am 31. Juli gefeiert.

Jesuiten sind keine Mönche; sie führen kein Klosterleben und tragen keine Ordenskleidung. Neben Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam verpflichten sie sich in einem vierten Gelübde zu besonderem Gehorsam gegenüber dem Papst. Zudem legen sie ein Zusatzversprechen ab, nicht nach kirchlichen Ämtern zu streben. An der Spitze der Gesellschaft Jesu, die in 125 Ländern vertreten ist, steht ein Ordensgeneral mit Sitz in Rom. Der Orden ist in 85 Provinzen eingeteilt, die jeweils von einem Provinzoberen, dem Provinzial, geleitet werden. Im Interesse einer hohen Mobilität leben die Jesuiten nicht ortsgebunden in Klöstern, sondern entsprechend ihrer Aufgaben und Einsatzgebiete in ordenseigenen Einrichtungen und Häusern, die wiederum einen Hausoberen haben. Ihre römische Hochschule, die „Gregoriana“, ist die renommierteste unter den Päpstlichen Universitäten. Der derzeitige Papst Franziskus ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. 2016 wurde der Politikwissenschaftler Pater Arturo Sosa Abascal SJ (72) aus Venezuela zum 31. Generaloberen des Ordens gewählt, der mit insgesamt rund 16.400 Brüdern und Priestern zahlenmäßig der größte der katholischen Kirche ist. In Deutschland sind es rund 400.  Internet: www.jesuiten.de.

Die Deutsche Provinz: 1540 kam Peter Faber als erster Jesuit nach Deutschland, der erste deutsche Jesuit war Petrus Canisius. 1544 gründete sich in Köln die erste Jesuitenkommunität und 1556 entstanden die ersten beiden deutschen Provinzen. 1872 wurden die Ordensangehörigen durch das Jesuitengesetz aus dem Deutschen Reich vertrieben, gründeten jedoch Ausbildungshäuser in den Niederlanden und Großbritannien oder gingen in Missionen in die skandinavischen Länder, die USA, nach Südbrasilien, Indien, Rhodesien und Japan. 1917 wurde das Verbot in Deutschland aufgehoben. Die bereits durch den Ordensgründer erkannte Bedeutung der Bildung setzten sie wieder in der Gründung von Schulen um. In der alten Deutschen Provinz (Bundesrepublik sowie Dänemark und Schweden) sind rund 450 Mitglieder vor allem als Lehrer und Hochschullehrer, Schriftsteller, Seelsorger oder Publizisten tätig (Österreichische Provinz: 100, Schweizer Provinz: 80). Sie arbeiten an den Kollegien in Berlin, Bad Godesberg und St. Blasien, den Hochschulen in Frankfurt (Main), München und Innsbruck, in der Jugend und Studentenseelsorge, Gemeindepastoral, Bildungs-, in Beratungs- und Exerzitientätigkeit und als Herausgeber mehrerer Zeitschriften. Am 27. April 2021 führten die Jesuiten ihre bisherigen Ordensprovinzen in den deutschsprachigen und weiteren europäischen Ländern zusammen und gründeten eine gemeinsame Provinz Zentraleuropa. Provinzial für die nächsten sechs Jahre ist Bernhard Bürgler (61), bislang Leiter der österreichischen Jesuiten-Provinz. Sitz der Provinz Zentraleuropa ist München. Sie umfasst 36 Standorte in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Litauen, Lettland und Schweden mit insgesamt 442 Mitbrüdern. Anlass der Neugründung sei weniger der Rückgang der Mitgliederzahlen als die Überlegung gewesen, dass das mit den nationalen Provinzen aufgekommene „Nationalitäts- und Provinzbewusstsein“ nicht zum Ursprungsgedanken passe.

Kontakt: Zentraleuropäische Provinz der Jesuiten e.V., P. Martin Stark SJ, Kaulbachstraße 29a, D-80539 München, (Anfahrtsbeschreibung), Tel. 089 / 38185-230, Fax 089 / 38185-200, E-Mail: info(at)jesuiten.org, Internet: https://www.jesuiten.org

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