In Gefahr: Christen im Irak

von Stefan Klinkhammer

Montag, 05.04.2021

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links: Logo zur Reise des Heiligen Vaters, Papst Franziskus, in den Irak (5.-8. März 2021), Grafik: vatican.va

Gerade noch ist Papst Franziskus dort gewesen. Jetzt will die irakische Regierung das Land von Christen in der Niniveh-Ebene an andere Gruppen verteilen. Dass sie ihr Zuhause verlieren, will das Bischöfliche Hilfswerk missio in Aachen verhindern...

INFO: Es war eine der außergewöhnlichsten Papstreisen der Geschichte: Vom 5. bis zum 8. März 2021 war Papst Franziskus im von vielfachen Spaltungen geprägten Irak. Es war die erste Papstreise in das arabische Land überhaupt, dessen uralte Christengemeinde seit Jahren durch Abwanderung schrumpft. Trotz schwerer Sicherheitsbedenken und der anhaltenden Corona-Pandemie besuchte er die irakischen Christen in der einst christlich geprägten Ninive-Ebene und in Erbil, dem Zufluchtsort für viele Vertriebene. Dort machte er der schwindenden Zahl der Katholiken Mut, in ihrer vom Terrorregime des „Islamischen Staats“ zwischen 2014 und 2017 verwüsteten Heimat zu bleiben. „Heute kann ich sehen und mit Händen greifen, dass die Kirche im Irak lebendig ist, dass Christus in diesem seinem heiligen gläubigen Volk lebt und am Werk ist“, so Papst Franziskus in seiner Predigt bei der heiligen Messe im Franso-Hariri-Stadion in Erbil am 7. März vor rund zehntausend Gläubigen.
In den Ruinen von Ur in der Wüste des Südirak, der Heimat Abrahams, brachte der Papst Angehörige der verschiedensten Religionen zu einem „Gebet der Kinder Abrahams“ zusammen. Franziskus machte die „Geschwisterlichkeit aller Menschen“, für die er mit seiner im Herbst veröffentlichten Enzyklika „Fratelli tutti“ warb, zum Leitthema seiner Begegnungen und warb für sein Modell einer geschwisterlichen Gesellschaft zur Überwindung interner Spannungen. Faktisch stellte er sich hinter Forderungen der Bürger nach einem grundlegenden Kurswechsel. Denn in den vergangenen Monaten gab es - teils gewaltsame - Proteste gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und Einmischung fremder Mächte. Im Oktober sollen Neuwahlen stattfinden, um die angeschlagene Übergangsregierung abzulösen. Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi rief die künftigen Jahrestage der Begegnung am 6. März als nationalen „Tag der Toleranz und des Zusammenlebens“ aus.

Christen im Irak: Zum Stephanustag am 26.12.2020 erinnerte der Präsident des internationalen katholischen Missionswerks missio München, Wolfgang Huber, an das Schicksal der vertriebenen Christen im Irak. Das Kalifat des Islamischen Staats (IS) im Irak sei zwar vor drei Jahren beendet worden, doch bleibe die Lage der Christen besorgniserregend. Seit Beginn des Irak-Krieges 2003 haben danach rund 800.000 von einer Million das Land verlassen, Orte und Infrastruktur zerstört. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnte vor einem weiteren Exodus von Christen aus dem Nahen Osten. Sei die einheimische christliche Bevölkerung im Nahen Osten früher massenhaft zur Konversion zum Islam gedrängt worden, so werde sie heute zur Auswanderung gezwungen, so GfbV-Direktor Ulrich Delius. Seit 2010 sei die Zahl der Angehörigen der christlichen Minderheit in Syrien um 50 Prozent auf nur noch rund 600.000 Menschen zurückgegangen. Schwierig sei auch die Lage der Minderheit in der Türkei und selbst im Libanon müssten christliche Gruppen um ihre Existenz fürchten.
Arbeitshilfe der Deutsche Bischofskonferenz: Die Arbeitshilfe „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit - Nach der Herrschaft des 'Islamischen Staates': Syrien und Irak" gibt einen Überblick über die Situation der Christen in diesen Ländern, aktuelle Konfliktlinien in den Gesellschaften und lässt Mitglieder der Ortskirche zu Wort kommen. Sie richtet sich vor allem an die Gemeinden und ist zur Auslage in den Pfarreien bestimmt. Zum Download: Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit: Nach der Herrschaft des „Islamischen Staats“: Syrien und Irak. Eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz. Arbeitshilfen Nr. 318 (Bonn 2020)

Petition des Hilfswerks missio: Mit einer Petition an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert das Internationale katholische Hilfswerk missio Aachen, sich bei der irakischen Zentralregierung für einen zehnjährigen Stopp der Neuverteilung von Landbesitz in der Niniveh-Ebene im Norden des Iraks einzusetzen. „Die Europäische Union soll ihren Einfluss auf die irakische Zentralregierung geltend machen, die anhaltende Umwidmung vor allem christlicher Gebiete in dieser Region an andere Gruppen zu verhindern. Unsere kirchlichen Partnerinnen und Partner leiden unter dieser Neuverteilung und wünschen sich einen stärkeren Einsatz der europäischen Politik“, so Pfarrer Dirk Bingener, Präsident von missio Aachen.
Seit dem Irak-Krieg von 2003 und dem Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ hatte der Auswanderungsdruck auf Christinnen und Christen in der Niniveh-Ebene stark zugenommen. Seit 2014 mussten Zehntausende aus ihrer Heimat flüchten. Dadurch sind die Eigentumsverhältnisse von Land- und Hausbesitz oftmals ungeklärt. Die Zentralregierung im Irak verteilt nun dieses Land an neue Besitzer. In der Niniveh-Ebene sind davon neben christlichen Gebieten auch andere Gruppen wie die Jesiden betroffen. Kompliziert wird die Situation dadurch, dass die irakische Zentralregierung auch mit der kurdischen Autonomiebehörde ins Einvernehmen kommen muss, zu der auch Teile christlicher Siedlungsgebiete gehören. „Unsere kirchlichen Partnerinnen und Partner fordern einen Stopp dieser staatlichen Neuverteilung von Landbesitz für zehn Jahre, um die Besitzverhältnisse klären und das Katasterwesen modernisieren zu können. Das ist die Voraussetzung für die Rückkehr von Vertriebenen und Geflüchteten“, so Pfarrer Bingener weiter. Auch andere bedrängte Gruppen wie die Jesiden sind Opfer dieser Praxis. missio appelliert: „Da nur ein starker Partner den Christen im Irak dabei helfen kann, ihre Forderungen durchzusetzen, appellieren wir an die Kommissionspräsidentin der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, ihre Kontakte zur Regierung in Bagdad zu nutzen und dieses Anliegen dort vorzubringen. Wir rufen die Europäische Union dazu auf, sich mit den orientalischen Christen und anderen Gruppen wie den Jesiden solidarisch zu zeigen.“
Nach Angaben der missio-Partner sind seit 2014 erst 8.000 christliche Familien in die Niniveh-Ebene zurückgekehrt. „Ohne einen vorübergehenden Stopp der Landverteilung werden die religiösen Spannungen im Land weiter angefacht“, erklärt Romina Elbracht, stellvertretende Leiterin der missio-Auslandsabteilung und Referentin für den Nahen und Mittleren Osten, einen weiteren Hintergrund der missio-Petition. „Zudem stellt der christliche Exodus aus dem Irak eine dramatische Gefahr für den irakischen Staat selbst dar,“ so Elbracht weiter. „Die christlichen Gruppen im Irak bilden einen wichtigen und stabilisierenden gesellschaftlichen Faktor. Ihr gänzliches Verschwinden wäre verheerend für die Zukunft des Iraks“, glaubt Elbracht. Daneben verdiene der Irak in der internationalen Politik mehr Aufmerksamkeit, da er für die Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens sehr wichtig sei.

Petition unterschreiben: Unterstützerinnen und Unterstützer können die Petition unter www.missio-hilft.de/irakpetition “ unterschreiben, um ihre Solidarität mit den Christinnen und Christen im Irak auszudrücken.

Hilfe im Staat Irak: Der Irak mit seinen rund 42,725 Millionen Einwohnern versorgt zehntausende Binnenflüchtlinge und ist auf internationale Hilfe und Spendenaktionen angewiesen. Nach unterschiedlichen Angaben leben im Irak, einer Wiege des Christentums, noch zwischen ca. 300.000 Christen. 2019 förderte missio ein Hilfsprojekt seiner Partnerinnen und Partner im Irak mit rund 40.000 Euro. Besonders die pastorale Arbeit ist wichtig, um den vom Bürgerkrieg gezeichneten Menschen seelsorgerische Betreuung und Traumabewältigung zur Seite zu stellen. Ein Programm zur Friedensbildung bildet mehr als 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Jugendleitern, Sozialarbeitern und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern aus, um die Versöhnungsarbeit voranzutreiben. Mehr: https://www.missio-hilft.de/informieren/wo-wir-helfen/naher-osten/irak/

Unsere Gesprächspartnerin: Romina Elbracht ist stellvertretende Leiterin der missio-Auslandsabteilung und für die Länder im Nahen und Mittleren Osten, Nordafrikas sowie für Pakistan zuständig. Sie ist seit vergangenem August bei missio, zuvor war sie für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Indien aktiv. Sie steht für missio in engem Kontakt mit den irakischen Partnern Erzbischof Yousif Thomas Mirkis (Kirkuk-Sulaimaniya), Erzbischof Bashar Warda (Erbil) und Erzdiakon Father Emanuel Youkhana von der Organisation CAPNI. Kontakt: missio - Internationales Katholisches Missionswerk e.V. glauben.leben.geben., Goethestraße 43, 52064 Aachen, Tel. 0241 / 75 07-363, Internet: www.missio-hilft.de www.bedraengte-christen.de

Irak-Reise von Papst Franziskus auf CD: Radio Vatikan hat die wichtigsten Momente des Papstbesuchs im Land an Euphrat und Tigris auf einer CD zusammengestellt. Im Bonus-Material gibt es auch historische Aufnahmen von einer Würdigung Abrahams, des Vaters aller Gläubigen, durch Papst Johannes Paul II. (1978-2005), dem im Jahr 2000 die Einreise in den Irak vom damaligen Regime von Saddam Hussein verwehrt wurde. Damals führte er eine Gedenkfeier für Abraham im Vatikan durch. Bestellung per Mail an cd@radiovatikan.de gegen eine Spende zur Deckung der Unkosten.

 

Montag, 05.04.2021