Im Sternenkranz: Blick in die Woche

von Christof Beckmann

Sonntag, 05.05.2024

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Europa und Robert Schuman / Collage KIP

Vor dem Europatag am 9. Mai, der Verleihung des Karlspreises an Christi Himmelfahrt, den Feiern zu 175 Jahren Paulskirchen-Verfassung und 75 Jahren Grundgesetz: Zum heutigen 75. Jahrestag der Gründung des Europarates ein gespanter Blick in die Woche ….

INFO: Vor 75 Jahren wurde der Europarat gegründet: Der Kriegsschutt in Europa war noch nicht abgeräumt, als Vertreter von zehn Regierungen den Grundstein zum Europarat legten. Offen wie die Zukunft des Kontinents war das Ziel des Vertrags, den sie am 5. Mai 1949 im Londoner St James's Palace unterzeichneten: Es ging um einen vage formulierten engeren Zusammenschluss, der gemeinsame Ideale und Grundsätze schützen und fördern sollte; um die Festigung von Frieden und Demokratie auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. 75 Jahre später ist der Kreis der Mitgliedstaaten gewachsen - und der Anspruch weiter einzulösen.

Ins Spiel gebracht hatte die Idee der frühere britische Premier Winston Churchill mit einer Rede 1946 in der kriegsverschonten Schweiz. In seinem Gastvortrag an der Universität Zürich regte der Staatsmann und gewiefte Diplomat „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“ an. Die unerhörte Pointe: Als Kern der „europäischen Familie“ sah er eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland - den beiden Nationen, die sich noch eineinhalb Jahre zuvor als Erbfeinde gegenüberstanden. Churchill war nicht naiv, und ungeachtet seiner religiös getönten Friedensrhetorik hatte der Plan einen geostrategischen Hintergrund: Die Sowjetunion dehnte ihre Machtsphäre aus; es war klar, dass die USA nicht die einzige Atommacht bleiben würden. Eine vom Systemkampf zwischen Ost und West bestimmte Weltordnung zeichnete sich ab. Ein Nachkriegseuropa, in dem unter den Siegern „babylonisches Stimmengewirr“ und aufseiten der Besiegten „verbissenes Schweigen der Verzweiflung“ herrschte, wäre dem Westen nicht dienlich. Der Kontinent musste Einigkeit und Stärke finden. Churchill drängte zu Eile. Als ersten Schritt schlug er die Bildung eines Europarates vor.

Parallel dazu liefen andere Initiativen. Für die gemeinsame Bewirtschaftung der kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl, die ein neues Wettrüsten in Europa verhindern sollte, und Projekte wie einen weitergehenden Binnenmarkt sowie eine abgestimmte Außen- und Verteidigungspolitik entstanden Formen der Zusammenarbeit, die in die heutige Europäische Union (EU) mündeten. Diese betreibt die politische Integration, während der Europarat eher als eine moralische Instanz auftritt.

Im Anliegen der europäischen Einigung spielen sie Seite an Seite. Sinnfällig wird das am Sitz des Europarates in Straßburg in direkter Nachbarschaft zum EU-Parlament. Beide Komplexe verbindet ein verwinkelter Gang von Fluren und gläsernen Passagen, mit einem Dachcafe dazwischen. Es handelt sich um getrennte Organisationen; aber dass es innerhalb des EU-Gebildes einen „Europäischen Rat“ (die Staats- und Regierungschefs) und einen „Rat der Europäischen Union“ (auf Ministerebene der EU-Staaten) gibt, führt beständig zu Verwechslungen.

Dem Europarat gehören heute 46 Länder an, also weitaus mehr als die 27 EU-Staaten. Zu den Mitgliedern zählen die Türkei und Aserbaidschan. Anders als in Churchills Europa-Vision stellt das christliche Erbe nicht unbedingt einen gemeinsamen Nenner dar. Nach wie vor sind Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Hauptaufgaben des Europarates; wiewohl auch hier die Standards weit auseinanderliegen.

Bekanntestes Organ des Europarates ist der Gerichtshof für Menschenrechte, der wie der Europarat selbst seinen Sitz in Straßburg hat. Seine Urteile auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention sind bindend; allerdings kann er sie nicht mit Zwang durchsetzen. So bleiben die stärksten Mittel des Europarates die „Soft Power“ geteilter Überzeugungen und die Öffentlichkeit - auch durch angegliederte Expertengruppen, die regelmäßig Berichte etwa zu Korruptionsbekämpfung, Menschenhandel oder Gewalt gegen Frauen publizieren.

75 Jahre nach der Gründung ist der Europarat ein etabliertes, aber delikates Gebilde; das liegt an den komplexen, teils widerstreitenden Interessen seiner zahlreichen Mitglieder. Er hält nur so weit zusammen, wie der gute Wille aller Beteiligten reicht. Die Herausforderung liegt darin, die Wahrung von Werten auszuhandeln, die eigentlich als unverhandelbar gelten. Der Ausschluss der Russischen Föderation im März 2022 war ein schmerzlicher Einschnitt. Damit brach auch eine Verbindungslinie, wie schwach auch immer, zu jenen Menschen dort, die sich ein anderes Russland wünschen.

Die politische Landschaft Europas ist im Wandel. Unter dem Eindruck des neuen Krieges unternimmt die EU Schritte hin zu einer gemeinsamen Rüstung und Verteidigung. Als Verbündete gelten Länder, die eine gemischte Bilanz bei Freiheitsrechten oder Korruption aufweisen, etwa die Ukraine oder Moldau. In Staaten quer über den Kontinent erstarken Bewegungen, die nationale Interessen in den Vordergrund stellen oder Einschränkungen bei Gewaltenteilung und Machtkontrolle propagieren. Dem Europarat wird es zukommen, weiter eine Stimme für Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu sein. (KNA)

Der Internationale Karlspreis 2024

Der diesjährige Internationale Karlspreis zu Aachen geht an den Vorsitzenden der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, und an die jüdischen Gemeinschaften Europas. Der 1963 in Zürich geborene Goldschmidt steht seit 2011 dem Zusammenschluss von rund 400 orthodoxen Rabbinern in Europa mit Sitz in München vor. Ab 1993 war er Oberrabbiner von Moskau. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine unter Druck gesetzt, reiste er nach Israel aus und gab die Gemeindeleitung im Juli 2022 ab. Mit dem Karlspreis solle Goldschmidts Wirken „für den Frieden, die Selbstbestimmung der Völker und die europäischen Werte, für Toleranz, Pluralismus und Verständigung“, erklärte das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen. Zudem hob die Jury Goldschmidts Einsatz für den interreligiösen Dialog zwischen Juden und Christen sowie zwischen Juden und Muslimen hervor. Mit der Auszeichnung solle ein Zeichen gesetzt werden, „dass jüdisches Leben selbstverständlich zu Europa gehört und in Europa kein Platz für Antisemitismus sein darf“, hieß es.

Der 1950 erstmals vergebene Internationale Karlspreis zu Aachen ist eine der wichtigsten europäischen Auszeichnungen. Er ist der älteste und bekannteste Preis, mit dem Persönlichkeiten oder Institutionen ausgezeichnet werden, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Der undotierte Preis besteht neben einer Urkunde aus einer Medaille, die auf der Vorderseite das älteste Aachener Stadtsiegel aus dem 12. Jahrhundert mit dem thronenden Karl dem Großen und auf der Rückseite eine Inschrift für den jeweiligen Preisträger zeigt. Zu den früheren Trägern gehören Robert Schuman, Konrad Adenauer, Francois Mitterand, der spanische König Juan Carlos I., Helmut Kohl, Vaclav Havel, Bill Clinton, Angela Merkel, Donald Tusk, Martin Schulz oder Andrea Riccardi. Letzte Preisträger waren Timothy Garton Ash 2017, Emmanuel Macron 2018, António Guterres 2019  und Klaus Iohannis 2020/21. 2004 erhielt Papst Johannes Paul II. einen Außerordentlichen Karlspreis, Papst Franziskus wurde 2016 geehrt. Im vergangenen Jahr erhielt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Karlspreis. Mehr: www.karlspreis.de.

Karlspreis LIVE. Das Fest am Donnerstag, 09.05.2024, auf dem Katschhof, Aachen: 11.00 Uhr Öffnung der Informationsstände, 11.15 Uhr TV-Übertragung des Festaktes auf Video-Großleinwand auf dem Markt; anschließend Karlspreis LIVE auf dem Katschhof, 12.55 – 13.10 Uhr Musikalische Begrüßung, 13.10 – 14.00 Uhr: Der Vorsitzende des Karlspreisdirektoriums, Dr. Jürgen Linden, und Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen empfangen Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, weitere Karlspreisträgerinnen und -preisträger sowie Staats- und Ehrengäste auf der Bühne. 14.20 – 15.20 Uhr Epstein’s Klezmer-Tov: „Klezmer Musik vom Ursprung bis heute“ oder „Klezmer – Musik mit Herz“. Am Nachmittag: Pidancet. Dreisprachige Pop-Chansons aus der Euregio Maas-Rhein. Zum Abschluss: Tovte. Die fünf Musikerinnen und Musiker verbinden in ihrer Musik Einflüsse aus Jazz-Manouche, Ethno-Pop, Folk und Klassik und kreieren so einen einzigartigen Stil.

Sonntag, 05.05.2024