Containern: Ein früherer "Tonnentaucher" berichtet

von Chris F. Schmidt

Sonntag, 16.10.2022

mit der Hand wird ein Müllcontainer durchsucht
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Wer beim "Containern" erwischt wird, muss in Deutschland mit einer Anzeige wegen Diebstahls rechnen. Foto: INDEON / Ev. Kirche Hessen Nassau (Screenshot YouTube)

In Deutschland landen pro Jahr rund 13 Mio. Tonnen Lebensmittel im Müll. Was z.B. Supermärkte auf diese Weise entsorgen, versuchen andere zu retten, indem sie die Lebensmittel wieder aus dem Müll holen. Dieses „Containern“ ist in Deutschland strafbar.

Hierzu existieren nicht nur verschiedene Gerichtsurteile, sondern auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages mit dem Titel „Strafrechtliche Aspekte des sogenannten »Containerns« in Deutschland, Frankreich, Niederlande und Schweden“ vom 12. April 2022. Im Wesentlichen werden darin drei Straftatbestände genannt, die durch das Containern erfüllt sein können: Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB), Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB sowie Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 StGB.

Die beiden letztgenannten sind relativ leicht zu verstehen: Steht der Müllcontainer mit den zu entsorgenden Lebensmitteln z.B. auf dem umzäunten Hof eines Supermarktes, dann stellt das Überklettern des Zaunes (um an den Container zu gelangen) mindestens einen Hausfriedensbruch dar. Ist der Container darüber hinaus durch ein abgeschlossenes Schloss gesichert und wird dieses aufgebrochen, um an die entsorgten Lebensmittel heranzukommen, handelt es sich um eine Sachbeschädigung.

Komplizierter ist eine Antwort auf die Frage, ob es sich beim „Containern“ wirklich um Diebstahl handelt. Dazu sagt § 242 Abs. 1 StGB erst einmal grundsätzlich: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird (…) wegen Diebstahls (…) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Aber greift dieser Paragraph auch bei Müll?

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärt dazu: „Nach herrschender Auffassung schützt § 242 StGB das Eigentum »als formale, zivilrechtsakzessorische Rechtsposition«. Daher werde die Annahme eines Diebstahls nicht durch die Wertlosigkeit einer Sache verhindert. Ein messbarer Substanzwert oder eine wirtschaftliche Interessenverletzung sei nicht erforderlich. Gemäß § 959 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wird eine bewegliche Sache herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt (Dereliktion)

Eine Sache ist herrenlos, wenn sie in niemandes Eigentum steht. Teilweise wird in der Literatur bei Abfällen von Supermärkten, die in auf dem Grundstück des Supermarktbetreibers stehende offene Gitterwagen und insbesondere in verschlossene Abfallcontainer geworfen wurden, bereits eine Besitzaufgabe verneint. Gleiches gelte wohl sogar auch, wenn der Supermarktbetreiber die Abfallcontainer zur Abholung auf die Straße stelle. Sofern man dagegen von einer Besitzaufgabe ausgeht, ist zu beachten, dass nach einem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (im Folgenden: „BayObLG“) die Frage, ob aus einer Besitzaufgabe ohne weiteres ein Eigentumsverzicht gefolgert werden kann, einzelfallabhängig zu entscheiden ist.“

In Deutschland sind die „Eigentumshürden“ damit ziemlich hoch: Auch wenn ein Gegenstand keinen Wert darstellt und der Eigentümer ihn wegwirft, gibt er damit nicht automatisch den Besitz der Sache auf. Wer diese Sache trotzdem wegnimmt, macht sich des Diebstahls schuldig. Anders ist die Situation in Frankreich, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages: „Im französischen Recht wird Abfall bereits seit Jahrhunderten als »nichtige Sache« (res nullius) oder »aufgegebene Sache« (res derelicta) angesehen. Die Gerichte sind lange Zeit davon ausgegangen, dass der Eigentümer das Eigentumsrecht an den Abfällen durch zwei Verhaltensweisen aufgibt: Die erste besteht darin, dass der Abfall auf der öffentlichen Straße stehen gelassen wird. Das zweite Verhalten liegt darin, dass der Eigentümer den Willen zeigt, sich nicht länger als Eigentümer der Sache zu gerieren.“

Über die Rechtslage in den Niederlanden schreibt der Dienst weiter: „In strafrechtlicher Hinsicht ist das Containern in den Niederlanden keine illegale Handlung. Allerdings dürfen hierbei keine Straftaten, wie das Betreten eines für Unbefugte gesperrten Bereichs oder die Zerstörung von Sicherheitsschlössern, die häufig an den Containern angebracht sind, begangen werden.“ Ähnlich stellt sich die Situation auch in Schweden dar: Ist das Erreichen oder das Öffnen des Containers nur unter Anwendung von Gewalt möglich – etwa indem Schlösser aufgebrochen werden – ist von einer Straftat auszugehen.

Allerdings sind nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „keine Urteile schwedischer Gerichte in Bezug auf das Containern bekannt. Die meisten Juristen gehen davon aus, dass Containern eine Straftat in Form des unrechtmäßigen Entzugs nach Kapitel 8, Abschnitt 8 des Schwedischen Strafgesetzbuchs darstellt. Sofern beispielsweise ein Lebensmittelhändler Lebensmittel in einen Container wirft, stehen diese weiterhin im Eigentum des Lebensmittelhändlers, da sich diese immer noch in seinem Besitz und unter seiner physischen Kontrolle befinden. Die Lebensmittel können immer noch einen Wert haben und verwendet werden, beispielsweise durch Recycling und Umwandlung in Bioenergie. Jedoch kann es schwierig sein, den erforderlichen Vorsatz nachzuweisen. Das Fehlen von Kriminalitätsstatistiken in Bezug auf das Containern deutet darauf hin, dass die Polizei dem Phänomen keine hohe Priorität einräumt.“

Das Evangelische Medienhaus Frankfurt hat für sein Magazin „Indeon“ sogenannte „Tonnentaucher“ mit der Kamera beim Containern begleitet und mit ihnen über ihre Motive gesprochen. Das Video findet Ihr bei YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=xFZKXfIAxXE  

Sonntag, 16.10.2022