Bahnhofsmission: Kirche am Puls der Zeit

von Ulrich T. Christenn

Sonntag, 27.11.2016

Hände halten einen Tee-Becher mit dem Logo der Bahnhofsmission
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Sich aussprechen, eine Pause machen, sich bei einem Becher Tee wieder aufwärmen – es gibt viele gute Gründe für einen Besuch bei der Bahnhofsmission. An gut 100 Orten in Deutschland ist sie zu finden. Foto: Werner Krüper / www.bahnhofsmission.de

Eine Insel der Ruhe mitten im geschäftigen Treiben, eine Anlaufstelle für Hilfesuchende und immer mehr auch Krisenzentrum für psychisch Kranke: Die Bahnhofsmission ist an über 100 Orten präsent und kümmert sich jährlich um mehr als zwei Mio. Menschen.

Genutzt werden die Bahnhofsmissionen von allen Altersgruppen, besonders aber von Älteren, von Kindern und Jugendlichen und von Menschen mit Behinderungen. Die größte Besuchergruppe stellen jedoch sozial benachteiligte und sozial ausgegrenzte Menschen. Eine aus Sicht der Bahnhofsmission bedenkliche Entwicklung ist die kontinuierlich wachsende Zahl von Hilfesuchenden mit psychischen Erkrankungen. Vor allem die Alleinstehenden unter ihnen finden in ihrem Wohnumfeld offenbar nicht den Kontakt und die Unterstützung, die sie benötigen. So suchen sie die Bahnhofsmissionen auf, um Anschluss zu finden und nutzen diese zunehmend auch als Krisenambulanz.

Zum klassischen Betätigungsfeld der Bahnhofsmissionen gehören die Hilfen im Reiseverkehr. Die zumeist ehrenamtlich Mitarbeitenden leisten Hilfe beim Ein-, Um- oder Aussteigen. Im Rahmen von "Kids on Tour" begleiten sie Kinder auch während einer kompletten Bahnfahrt von A nach B. Hinzu kommen jährlich etwa eine Million kleiner Hilfeleistungen. Sie reichen von der Fahrplanauskunft über die Wunderstversorgung bis hin zur Information über örtliche soziale Hilfeeinrichtungen. Und natürlich gibt es in den Räumen der Bahnhofsmission jederzeit eine Tasse Kaffee oder Tee. Besucher können sich hier ausruhen und vorbereiten - für die Fortsetzung einer Reise oder die Rückkehr in ein hartes Leben auf der Straße.

1894 wird in Berlin die erste Bahnhofsmission in Deutschland gegründet. Der gemeinsame Auftrag und das Ziel, Menschen unterwegs Schutz zu bieten, führt zu einem gemeinsamen Auftreten evangelischer und katholischer Bahnhofsmission. Das gute Miteinander mündet 1910 in der Gründung der heutigen "Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland", der ältesten ökumenischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der offenen sozialen Arbeit.

In den 20er Jahren nimmt die Professionalisierung zu: Hauptamtliche Mitarbeiterinnen werden eingestellt, die Zentralen sorgen für die Schulung der Ehrenamtlichen. Mit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus 1933 beginnt der systematische Prozess der Verdrängung konfessioneller Arbeit und der Gleichschaltung privater und öffentlicher Wohlfahrtspflege in die NS-Volkswohlfahrt. 1939 wird die Bahnhofsmission vom NS-Staat verboten. Nach dem Krieg 1945 nimmt die Bahnhofsmission schnell wieder ihre Arbeit auf: Viele Menschen sind unterwegs, Familienmitglieder suchen einander, Heimkehrer aus dem Krieg, Vertriebene und Flüchtlinge nehmen die Hilfen der Bahnhofsmission in Anspruch.

In den 60er Jahren kommen neue Aufgaben hinzu, z.B. Reisehilfen für die nach Deutschland kommenden Gastarbeiter oder die vor allem älteren Besucher aus der DDR (wo die Bahnhofsmissionen wg. Spionageverdacht seit 1949 verboten waren). In der Rezession der 70er Jahre kommt das Thema Arbeitslosigkeit wieder auf, die Bahnhofsmission wird immer mehr auch Anlaufstelle für psychisch beeinträchtige Menschen und für Nöte ganz unterschiedlicher Art, die eher Lebenshilfe als Reisehilfe sind.

Gleiches gilt in späteren Jahren auch für die Arbeit mit Aussiedlern und Asylsuchenden und die erste Hilfe für wohnungslose Menschen am sozialen Brennpunkt Bahnhof, der sein Gesicht verändert: Der Bahnhof wird immer mehr technisiert, Automaten ersetzen Menschen, Personal wird abgebaut. Da sorgt die Bahnhofsmission ihrem Motto gemäß dafür, dass die Menschlichkeit zum Zug kommt. Ihre Kennzeichen sind bis heute die uneingeschränkte Annahme aller Menschen, Hilfe und Begleitung in Notsituationen, das ehrenamtliche Engagement vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das ökumenische Miteinander in unterschiedlichen Organisationsformen. Finanziert wird ihre Arbeit durch kirchliche und öffentliche Zuschüsse sowie durch Spenden Mehr Infos - u.a. auch eine Übersicht aller Stationen innerhalb Deutschlands - gibt es unter www.bahnhofsmission.de
Sonntag, 27.11.2016