150 Jahre: Postkarten vom Krieg

von Christof Beckmann

Sonntag, 19.07.2020

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Postkarte vom Schlachtfeld in Wörth/Elsass, Museum „La Bataille du 6 août 1870“

Kriegspropaganda, Hurra und Schlachtfeld-Tourismus: Vor 150 Jahren ging nicht nur die erste Postkarte auf die Reise, es begann auch der Deutsch-Französische Krieg. Frische Eindrücke zeigen, warum es zu einem vereinigten Europa keine Alternative gibt ...

INFO: Gestern vor 150 Jahren ging die erste Ansichtskarte auf Reisen: Ein Artillerist zierte die Karte, die am Tag der Mobilmachung gegen Frankreich von Oldenburg nach Magdeburg verschickt wurde. Am 19.7.1870 erklärte Napoleon III. unter Druck der Öffentlichkeit aus Anlass der „Emser Depesche“ und dem Streit um die Spanische Thronfolge Preußen den Krieg. Das war längst mit seinen Verbündeten darauf detailliert vorbereitet, marschierte Anfang August 1870 in Weißenburg/Wissembourg über die Grenze und schlug mit einer überlegenen Krupp-Artillerie die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Franzosen vernichtend am 6. August 1870 bei Wörth. Der Sieg der deutschen Truppen öffnete den Weg nach Paris und entfachte nicht nur im Norddeutschen Bund und in den süddeutschen Staaten eine nationalistische Begeisterung. Während der folgenden, mit hohem Tempo vorangetriebenen Kriegshandlungen (Sedan, Verdun, Gravelotte, Mars-laTour, Metz, Beaumont) wurde die Ansichtskarte zu einem Massenartikel: Mit ihr gaben die am „Deutsch-Französischen Krieg“ beteiligten insgesamt rund 460.000 Soldaten aus Preußen, Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt schriftliche Lebenszeichen, die als kostenlose Feldpostkarten millionenfach in die Heimat gingen.

Offiziell endete der Krieg, für den allein auf deutscher Seite insgesamt 1,4 Millionen Soldaten mobilisiert wurden, am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt. Zu den Folgen zählen der Zusammenbruch des französischen Kaiserreichs, der Verlust seiner Vormachtstellung in Europa, die vorab bereits geplante Besetzung und Abtretung von Elsass-Lothringen, die Reichsgründung in Versailles und die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser, der Beginn einer Epoche großer wirtschaftlicher Dynamik in Deutschland sowie eine andauernde vergiftete nationalistische Haltung gegen den so genannten „Erbfeind“, der Reparationssummen in Höhe von 5 Milliarden Goldfranken zu zahlen hatte. Der Tag der Schlacht bei Sedan (2. September 1870) wurde im Kaiserreich fast fünfzig Jahre lang bis 1918 als triumphaler Staatsfeiertag begangen. Dem Krieg dem über 180.000 Soldaten zum Opfer fielen, folgte zwar eine der längsten Friedensphasen in Westeuropa, doch die Folgen der militärischen Demütigung blieben nicht aus: Auf französischer Seite geriet der nach dem Ersten Weltkrieg geschlossenen Versailler Vertrag von 1919 zum Ausdruck der Revanche. Der sogenannte „Diktatfrieden“ wirkte auf die Krise der Weimarer Republik und beförderte den Aufstieg des Nationalsozialismus.

Musée de la Bataille du 6 août 1870 in Woerth/Nordelsass: Die zwischen Woerth, Elsasshausen und Froeschwiller stattgefundenen Kämpfe der „Bataille de Reichshoffen“, wie die entscheidende Schlacht vom 6. August 1870 in Frankreich selbst genannt wird, dokumentiert das nordelsässische „Musée de la Bataille du 6 août 1870“ in der Burg von Woerth. Es zeigt zahllose Funde von den Schlachtfeldern, ein großes Diorama mit über 4.000 Zinnfiguren, Dokumente, Gemälde, Postkarten, Waffen, Uniformen und zahllose Beispiele von Nippes und Andenken, die durch den in der Folge entstandenen Schlachtfeld-Massentourismus mit organisierten Reisen und einer darauf eingestellte touristische Infrastruktur und Hotellerie weite Verbreitung fanden. Auf dem Gelände der ehemaligen Kampfhandlungen sind zahlreiche kleine und große Denkmäler von deutschen Truppenteilen bis heute erhalten.
Adresse: 2 Rue du moulin, 67360 Woerth, Öffnungszeiten: Mi, Do, Fr 14-17 Uhr, Eintritt: 5 Euro, Kinder, Jugendliche und Studenten frei, Gruppen 12 Euro, Info: Tel. 0033 / 388 094 096 (Museum), Fax 33 (0) 3 88 09 47 07 oder 0033 / 388 093 021(Rathaus), E-Mail: ville.woerth@wanadoo.fr, Internet: www.6aout1870.com (französisch), https://webmuseo.com/ws/musee-woerth/app/report/index.html.

Musée Mémorial des Combats et de la Libération en Alsace du Nord, Walbourg / Nordelsass: Das in einem 1046 gegründeten ehemaligen Benediktinerkloster in Walbourg bei Haguenau völlig neu eingerichtete Museum sollte Mitte März 2020 und vor dem 75. Jahrestag zum Ende des II. Weltkriegs mit großer Prominenz eröffnet werden – wegen Corona aber fiel der Start ins Wasser. Das zwischenzeitlich als Jesuitenschule genutzte, später von der deutschen Unternehmerfamilie Haniel bewohnte und als Pferdegestüt genutzte Gelände ist seit 1946 eine Internatsschule, die vom Erzbistum Straßburg getragen wird. Die hier von einem Team um Bernard und Cedric Lemaitre zusammengetragene Ausstellung versammelt auf mehr als 462 Quadratmetern Fläche rund 3.500 originale Gegenstände und Zeugnisse aus der Region. Bernard Lemaitre war fast vier Jahrzehnte als Präfekt und Erzieher am Séminaire de Jeunes de Walbourg (http://www.seminairedejeunes.com/) tätig, sein Sohn Cedric begann dort bereits als Schüler mit der heute präsentierten Sammlung.
Die Ausstellungsgegenstände dokumentieren den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, den Ersten Weltkrieg im Elsass, die Zwischenkriegszeit, den Reichsarbeitsdienst (RAD) und den Kriegsdienst. Die mit vielen Vitrinen, Audios und lebensgroßen Inszenierungen hinter Glas versehene Schau zeigt zudem die erste Befreiung (Unternehmen Nordwind und Undertone) sowie die zweite Befreiung, mit der die deutschen Truppen aus dem Elsass wieder vertrieben wurden.
Kontakt: Association 2MCLADN, „Musée Mémorial des Combats et de la Libération en Alsace du Nord“, Rue de l’ église, 67360 Walbourg, Frankreich. Geöffnet: Mi und So, 14-18 Uhr, Eintritt: 8 Euro, Jugendliche 4 Euro, Kinder bis 9 Jahre frei, Gruppen 10 Euro. E-Mail: cedric@2mcladn.fr, Internet: http://2mcladn.fr/, Facebook: https://www.facebook.com/groups/776035422466960/

Buchhinweis: Für den deutschen Militärhistoriker und Publizisten Klaus-Jürgen Bremm, Dozent für Militärgeschichte an der Universität Osnabrück, nahm die Dynamik des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 einige der Verheerungen die folgenden industriell vorangetriebenen „totalen Kriege“, des Ersten und Zweiten Weltkriegs, vorweg - nicht nur hinsichtlich der Nutzung von Eisenbahn und Waffentechnik. Der gebürtige Duisburger, Jahrgang 1958, hat dazu 2019 eine umfassende Gesamtdarstellung des Deutsch-Französischen Krieges vorgelegt, die die Ereignisse in ihrer Entwicklung und ihren Folgen dokumentiert.
Zum 150. Jahrestag erklärt Bremm die komplexe politische Lage nach dem Wiener Kongress und die Gründe für diesen ersten modernen Krieg, der von Preußen als Medienereignis provoziert wurde und nur aus der Mentalität der Zeit und dem wachsenden Nationalstolz zu verstehen ist. Der preußische Sieg und die Reichsgründung wurden zur entscheidenden Wegscheide für die weitere politische Entwicklung Europas, die nur vor diesem Hintergrund verstanden werden kann. Die beiderseitige Propaganda wirkte jahrzehntelang nach, auch rassistische Motive spielten mit Blick auf die afrikanischen Truppen auf französischer Seite eine große Rolle. Neben zahlreichen Namen von Straßen und Plätzen in ganz Deutschland sind die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden ein sichtbares Erbe der damaligen Ereignisse.
Das Buch: Klaus-Jürgen Bremm: „70/71. Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen", WBG Theiss, Darmstadt 2019, 25,00 Euro

Sonntag, 19.07.2020