Kirche & Rassismus: Wie ist Jesus weiß geworden?

von Dr. Brigitta Duhme-Hildebrand

Sonntag, 24.07.2022

dunkelhäutige Pfarrerin im Talar
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Sarah Vecera ist unter anderem auch Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. (Foto: privat)

„Von Anfang an war die Kirche für alle Menschen gedacht. Trotzdem gibt es auch in ihr rassistische Strukturen, die weißen Menschen meistens gar nicht auffallen“, sagt Sarah Vecera. Als Theologin und „Person of Color“ weiß sie, wovon sie spricht.

„Ich bin in einer weißen Kirche groß geworden, in der es Menschen auch immer gut mit mir meinten, aber ich habe immer das Gefühl mitbekommen, ich bin besonders, ich bin anders. (…) Ich hab mich nie – und das wollen Menschen ja eigentlich - 100prozentig zugehörig gefühlt, weil ich immer »die Andere« war.“ So beschreibt Sarah Vecera ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit „ihrer“ Kirche, die sie schließlich auch dazu bewogen haben, ein Buch über das Thema Kirche und Rassismus zu schreiben.

Es trägt den Titel „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“, ist im Mai 2022 erschienen und das bislang einzige Buch in deutscher Sprache, das sich mit dieser Thematik beschäftigt. Sarah Vecera ist in den vergangenen Monaten häufiger auf Lesereise gewesen und hat dabei festgestellt: „Es bringt Menschen ins Nachdenken, einfach die Frage in den Raum zu stellen »Wie ist Jesus weiß geworden?«, weil es ihnen dann wie Schuppen von den Augen fällt: »Ach du je, selbst Jesus ist ja weiß, der war gar nicht so weiß«. Und das ist letztendlich die Spitze des Eisbergs wenn wir über Rassismus reden, dass wir es geschafft haben, selbst den lieben Gott weiß zu machen.“

Dass sich bis heute viele Menschen Jesus als dunkelblond bis brünett gelockten Jüngling mit weißer Haut und blauen Augen vorstellen, hat in erster Linie kunsthistorische Gründe. Die Bibel jedenfalls enthält so gut wie keine Aussagen über Aussehen und Gestalt Jesu. Und in der Frühzeit des Christentums war es aufgrund des 2. Gebots („Du sollst Dir kein Bildnis machen“) sogar verboten, Gott oder Jesus bildlich darzustellen. Erst im 8. und 9. Jahrhundert setzte sich die Ansicht durch, dass man Jesus darstellen könne und dürfe. Durch seine Charakterisierung als „wahrer Gott und wahrer Mensch“ beim Konzil von Chalcedon im Jahr 451 habe Jesus eben auch eine menschliche Natur und damit eine darstellbare Seite, die seiner Verehrung dienen könnte.

„Die ersten bis heute überlieferten Christusdarstellungen stammen aus römischen Katakomben, in denen sich die verfolgten Untergrundgemeinden treffen“, heißt es dazu auf der Internetseite katholisch.de: „Sie stellen Jesus als guten Hirten und damit ganz klassisch als ein Trostbild dar: Mit weißer Haut, Tunika und kurzem, lockigen Haar – also sehr römisch.“ Dieser Vorlage sind in den Jahrhunderten danach viele Künstler gefolgt. Allerdings ging es ihnen dabei nicht um eine naturgetreue Darstellung der Person Jesu, sondern um seine verschiedenen Funktionen, zum Beispiel als „guter Hirte“ oder „Herrscher“. Diese Rollen sollten für jeden Betrachter unmittelbar erkennbar sein.

Katholisch.de schreibt dazu: „Um diese Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten, greifen die Künstler der Zeit auf eine für jeden klar identifizierbare Ikonografie zurück – und die orientiert sich an der pagan [also heidnisch] geprägten Alltagswelt. Forscher sind sich uneins, welches genau ihre Quellen waren. So könnte es sein, dass sich der gute Hirte mit seiner pastoralen Romantik und seiner beinahe süßlichen Jugendlichkeit von Darstellungen Orpheus', Hermes' oder Apollons geprägt ist. Die kaiserliche Anmutung Jesu als Herrscher könnte auf Götterbilder wie Zeus als Weltenherrscher zurückgehen, vielleicht auch mit alttestamentlichen Einflüssen der Samson-Figur. Andere Forscher sehen die Schablone für das Jesusbild eher bei den Darstellungen von charismatischen Philosophen mit Bart und Toga.“

Für die Völker Europas war es einfach und fast schon selbstverständlich, sich Jesus als Weißen vorzustellen. Dass sich diese Vorstellung dann auch weltweit sehr stark durchsetzte, lag u.a. an den Missionaren, die im Zuge der Kolonialisierung in die entlegensten Winkel ausschwärmten und ihr Jesusbild an die dortigen Menschen weitergaben. Laut katholisch.de geht damit „eine Hegemonisierung der Hautfarben einher: Die mit der weißen Haut herrschen, die anderen folgen. Unter anderem in Lateinamerika, später aber auch in Afrika wird so das Jesusbild von den Kolonialherren instrumentalisiert, um den Menschen eine klare Rangordnung aufzuzwingen. In diesen Prozess spielen etwa auch eigens für Sklaven »redigierte« Bibelausgaben hinein, aus denen jede Art von Widerstand gegen Obrigkeiten getilgt sind. Nicht-Weißen wurde Jesus in Altarbildern, Kirchenfenster und Buchillustrationen immer wieder mit seinem Weiß-Sein als Merkmal der Herrschenden präsentiert.“

Auch wenn das Bild eines weißen Jesus bis heute vorherrscht, gab es zu allen Zeiten immer auch lokale „Ausreißer“. Im irischen "Book of Kells" aus dem frühen Mittelalter etwa hat Jesus rote Haare, aus dem 16. und 17. Jahrhundert gibt es Jesus mit äthiopischen und indischen Zügen. Und im haitianischen Port au Prince hängt ein Gemälde von Wilson Bigaud aus dem Jahr 1957, das Jesus als Schwarzen unter lauter dunkelhäutigen Insulanern zeigt.

Sonntag, 24.07.2022