Die Pandemie ist keine Erkältung

von Christof Beckmann

Sonntag, 05.12.2021

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Foto: Bischof Dr. Felix Genn von Münster, Bischöfliche Pressestelle/Jakob Kuhn

Immerhin: Nur noch 9 Prozent glauben, dass es Corona gar nicht gibt - im Bundesdurchschnitt. In manchen Regionen sind es aber immer noch deutlich mehr. Was fällt einem dazu eigentlich noch ein? ...

INFO: Impfen tut not – soweit der einhellige Appell der Wissenschaft. Doch eine „dpart“-Studie zeigt (als PDF hier zu lesen): Der Aussage „Corona gebe es gar nicht und die Schutzmaßnahmen seien eine hysterische Überreaktion“ stimmen im Bundesdurchschnitt immer noch 9 Prozent zu. Zu Beginn der Pandemie im April 2020 waren es noch 14 Prozent. (Dr. Tobias Spöri / Dr. Jan Eichhorn: WER GLAUBT (NICHT MEHR) AN CORONA- VERSCHWÖRUNGSMYTHEN? Eine Analyse der Verbreitung derartiger Mythen in Deutschland 2020 – 2021. In Kooperation von d|part mit Prof. Dr. Klaus Boehnke (Jacobs University Bremen), Prof. Dr. Jan Delhey (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) Dr. Franziska Deutsch (Jacobs University Bremen), Prof. Dr. Ulrich Kühnen (Jacobs University Bremen), Prof. Dr. Christian Welzel (Leuphana Universität Lüneburg), Veröffentlichung: November 2021, © d|part. Keithstrasse 14, 10787 Berlin, Germany).
Deutlich überdurchschnittlich ist die Zahl der Corona-Leugner danach in Sachsen (28 Prozent), Sachsen-Anhalt (16 Prozent), Berlin, Hessen und Baden-Württemberg (jeweils 12 Prozent). Am geringsten ist sie in Rheinland-Pfalz plus Saarland (4 Prozent), Niedersachsen plus Bremen, sowie Nordrhein-Westfalen (jeweils 6 Prozent). Sachsen ist zudem das einzige Bundesland, in dem der 2021 ermittelte Wert im letzten Jahr sogar noch gestiegen ist. Auffällig sei, dass sich Anhänger von Corona-Verschwörungen oft über die sozialen Medien informierten, staatliche Institutionen generell ablehnten und mit dem System als solchem unzufrieden seien. Bei ihnen gehe es eigentlich gar nicht so sehr um Corona und naturwissenschaftliche Fragen, sondern um die Demokratie.

Papst ruft zur Covid-19-Impfung auf: Papst Franziskus hatte sich mit einer Videobotschaft im August an die Weltöffentlichkeit gewandt. Mit der weltweiten Impfkampagne „It's up to you“ („Es liegt an dir“) hatte er zur Impfung gegen das Covid-19-Virus aufgerufen. Sich mit den zugelassenen Impfstoffen impfen zu lassen, sei ein Akt der Liebe, „für sich, für seine Familie und Freunde, sowie für alle Völker“. Es sei eine einfache, aber tiefgreifende Weise, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und für sich und andere zu sorgen, vor allem für die besonders Verletzlichen. Die entwickelten Impfstoffe gäben zudem Grund zur Hoffnung auf ein Ende der Pandemie, aber nur, wenn sie für jeden verfügbar seien und alle zusammenarbeiteten, ergänzte der 84-Jährige, der selbst seit Jahresbeginn vollständig geimpft ist. Video: „Pope urges people to receive Covid-19 vaccine“: https://youtu.be/JWf3Ji11EaU

Aufruf der Deutschen Bischofskonferenz: Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz erklärte am 22. November 2021 in Würzburg: „In diesen Tagen erleben wir in nahezu unaufhaltsamer Dramatik das Fortschreiten der vierten Welle der Corona-Pandemie. Die Inzidenzzahlen, Neuinfektionen und Todesfälle erreichen erschreckende Ausmaße. ... Mit Nachdruck rufen wir die Katholikinnen und Katholiken und alle Menschen unseres Landes dazu auf, sich impfen zu lassen, soweit dies möglich ist. Impfen ist in dieser Pandemie eine Verpflichtung aus Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe. Aus ethischer Sicht ist es eine moralische Pflicht. Wir müssen uns und andere schützen. Die Impfung ist dazu das wirksamste Mittel. Gleichzeitig appellieren wir an alle, die nötigen Hygienemaßnahmen einzuhalten. Wir alle wünschen uns die Freiheiten im alltäglichen Leben wie in den Zeiten vor Corona zurück. Dazu müssen wir uns aber gemeinsam – und zwar jede und jeder in diesem Land – einsetzen. Denn wir sehen: Durch die Impfung werden Leben gerettet und weniger schwere Krankheitsverläufe erreicht. Wir machen uns den Appell von Papst Franziskus zu eigen, der am Weltgesundheitstag betont hat: ‚Wir alle sind aufgerufen, die Pandemie zu bekämpfen. In diesem Kampf stellen die Impfstoffe ein wesentliches Instrument dar. Dank Gott und der Arbeit vieler haben wir jetzt Impfstoffe, um uns vor Covid-19 zu schützen.‘ Wir fügen hinzu: Nutzen wir diese Chance! Bitte lassen Sie sich impfen!“

Viele Bischofsappelle: Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker, der Essener Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und zahlreiche andere wiederholten ihre Appelle, ebenso das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und katholische Verbände. Schärfste Kritik an Impfverweigerern übte der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst. Sie „nehmen nicht nur das Risiko in Kauf, selbst zu erkranken. Den eigentlichen Schaden fügen sie damit den Schwächsten zu“, sagte der Bischof am 29.11.2021 bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Evangelischen Stadtkirche in Ludwigsburg. Die „Unvernünftigen und Uneinsichtigen“ raubten den Kindern eine unbeschwerte Kindheit und nähmen alten Menschen die letzten Jahre. „Als Christen können wir nicht tatenlos zusehen. Querdenkern kann unser 'Hosanna' nicht gelten“, so Fürst. „Egoismen haben im Reich des sanftmütigen Königs Jesus Christus keinen Platz! Denn das egoistische Nein ist letztendlich ein Nein gegen das Leben!“

Sieben Religionen werben fürs Impfen: Angesichts der sich zuspitzenden Lage in der Corona-Pandemie warben am 1. Dezember Repräsentanten von sieben Religionsgemeinschaften in Deutschland gemeinsam für die Impfung: „Impfen ist Ausdruck religiöser Verantwortung“, heißt es in einer Erklärung des interreligiösen Vereins „Abrahamisches Forum in Deutschland“. Die Verantwortung für das eigene Leben und das der Mitmenschen sei ein Gebot in allen Religionen. Sofern in Einzelfällen keine gesundheitlichen Gründe dagegensprächen, sollten sich Menschen impfen lassen, erklärte der Zusammenschluss von Vertretern aus Judentum, Christentum, Islam und Bahaitum, Wissenschaftlern und anderen. „Eine Impfung schützt die eigene Gesundheit und die der Menschen weltweit“, hieß es. Die Erklärung wird getragen von Ihsan Dilber, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Alevitischen Gemeinden in Hessen, Abdassamad El Yazidi, dem Generalsekretär des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Detlef Görrig, Oberkirchenrat und Referent für Interreligiösen Dialog der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Tsunma Konchok Jinpa Chodron, Ratsmitglied der Deutschen Buddhistischen Union, Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Irfan Ortac, Stellvertretender Vorsitzender des Zentralrates der Jesiden in Deutschland, Khuswant Singh, Sikh und ehemaliger Vorsitzender des Rats der Religionen Frankfurt sowie dem katholischen Theologen Karl-Josef Kuschel, Vorsitzender des Abrahamischen Forums in Deutschland.

Impfaktion in Kirchen: An vielen Orten finden Impfaktionen auch in Gemeindeeinrichtungen und Kirche selbst statt. Mit Blick auf die vierte Corona-Welle sei es eine christliche Pflicht, der Pandemie entgegenzuwirken, erklärte der Paderborner Generalvikar Alfons Hardt. Das Metropolitankapitel lädt mit dem Kreis Paderborn am 11. Dezember zwischen 10.00 Uhr und 17.00 Uhr zu einer öffentlichen Erst-, Zweit- oder Auffrischungsimpfung in den Paderborner Dom ein. Jeder ist willkommen, keiner braucht einen Termin. Blick nach Österreich: Der Wiener Stephansdom hat sein Impfangebot aufgrund des enormen Zulaufs erweitert. Statt von Donnerstag bis Sonntag (10-20 Uhr) wird ab 6. Dezember täglich in der Barbarakapelle gegen Covid-19 geimpft, so der Malteser-Hospitaldienst, der die Aktion mit den Johannitern im Auftrag der Dompfarrei koordiniert.

Stellungnahme der Leopoldina: Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlichte am 27. November ihre 10. Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie. Unter dem Titel „Coronavirus-Pandemie: Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!“ fordert dringend notwendige Maßnahmen mit dem Ziel, die vierte Infektionswelle schnell und effizient einzudämmen. Hier zum Download: Ad-hoc-Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie: Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!“

Hier zum Download die aktuellen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie Beschluss der Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 2. Dezember 2021

Kritik der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften: Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, eine der weltweit renommiertesten Einrichtungen ihrer Art, kritisiert weiter bestehende Defizite beim Kampf gegen Corona. Mehr als 3,5 Milliarden Menschen warteten immer noch auf Impfstoffe, heißt es in einer nun veröffentlichten Erklärung des Gremiums. Der Mangel an Impfstoffen in armen Ländern habe zu einer „moralisch nicht zu rechtfertigenden Ungerechtigkeit“ geführt. Außerdem erhöhe eine geringe Durchimpfungsrate in Ländern mit niedrigen Einkommen das globale Risiko des Auftretens neuer Varianten. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen und der Impfstoff-Nationalismus der reichen Länder muss aufhören.“ Die Akademie fordert zudem, die Vernetzung von Wissenschaftlern weiter voranzutreiben und ihre Arbeit angemessen zu finanzieren. Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen gäben Anlass zu großer Sorge und erforderten „intensive Forschung sowie gezielte Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit“. Weiter nehmen die Akademiemitglieder Wissenschaftler, Journalisten, Politiker und Religionsgemeinschaften in die Pflicht, gegen Fehlinformationen und Verschwörungstheorien über Pandemien und Impfstoffe vorzugehen.

Impf-Aufruf von Bischof Dr. Felix Genn: Der Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn rief angesichts der sich zuspitzenden Corona-Lage ebenfalls zum Impfen auf. „Lassen Sie sich impfen! Sie schützen so ihr eigenes Leben und das von anderen“, so Genn. „Ich will nicht den Zeigefinger auf die Menschen richten, die sich nicht impfen lassen möchten, obwohl sie es könnten“, so Genn. Aber Impfen sei nicht mehr nur eine Privatsache, sondern zugleich ein Akt der Solidarität mit den Schwächsten in der Gesellschaft. „Haben wir nicht bei Corona zuerst und vielleicht sogar ausschließlich an uns gedacht?“, fragte er bei der Pressekonferenz zur Weihnachtsaktion des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Auf beängstigende Weise habe die Pandemie deutlich gemacht: „Wir haben die Arme nicht genug im Blick, wir sichern unser Überleben auf Kosten der Menschen in den armen Ländern des Südens - das ist unchristlich“, so Genn. „Corona sollte denen, die es immer noch nicht verstanden haben, gezeigt haben: Mauern, Stacheldrähte und Grenzbefestigungen gehören als Symbole eines überkommenen Nationalismus auf den Friedhof der Geschichte. Das sage ich auch im Blick auf Europa. Sie schützen uns weder vor einem Virus noch vor Menschen, die aus purer Verzweiflung nicht in erster Linie ein bequemeres und komfortableres, sondern überhaupt einmal ein menschenwürdiges Leben suchen.“ Die Welt drohe „im wahrsten Sinn des Wortes unterzugehen“, doch in den reichen Ländern scheine es für viele noch immer nur darum zu gehen, den eigenen Wohlstand zu bewahren oder zu erhöhen, kritisierte Genn: „Ich meine, die Zeiten einer solchen Haltung und eines egoistischen Systems, das grenzenloses Wachstum zur Maxime und Leitschnur auch des politischen Handelns macht, müssen vorbei sein. Ich würde hinzufügen: Wenn schon nicht aus Nächstenliebe, so doch schon allein im eigenen Interesse. Denn Corona lehrt uns schmerzhaft: Das Virus wird nur dann eingedämmt, wenn wir Impfstoffe nicht uns bunkern, sondern gerecht auf der Welt verteilen. Wie oft hat Papst Franziskus darauf schon hingewiesen?“...

Unser Gesprächspartner: Dr. Felix Genn, geboren am 6. März 1950 im rheinland-pfälzischen Burgbrohl, studierte nach Abitur am Kurfürst-Salentin-Gymnasium in Andernach 1969-1974 Theologie und Philosophie in Trier und Regensburg. Am 11. Juli 1976 wurde er im Trierer Dom zum Priester geweiht und Kaplan in Bad Kreuznach. 1978 Berufung zum Subregens, 1985 Spiritual des Bischöflichen Priesterseminars in Trier und Promotion zum Thema „Trinität und Amt bei Augustinus“. 1994 Ständiger Lehrbeauftragter für Christliche Spiritualität an der Theologischen Fakultät Trier, Leiter der Heilig-Rock-Wallfahrt 1996. 1997-1999 Regens am Studienhaus Sankt Lambert, wo sich Spätberufene ohne Abitur auf den Priesterberuf vorbereiten. Am 16. April 1999 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof für das Bistum Trier, Bischofsvikar für das Saarland, am 6. Juli 2003 als dritter Ruhrbischof des 1958 gegründeten Bistums Essen in sein Amt eingeführt und am 19. Dezember 2008 von Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Münster ernannt. Zum 9. März 2009 übernahm er die Leitung des Bistums. Mehr: www.bistum-muenster.de.

Sonntag, 05.12.2021