Die Kinder von Izieu: Ein deutsches Verbrechen

von Joachim Gerhardt

Sonntag, 19.08.2018

zwei Männer vor der Gedenkstätte im französischen Izieu
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Leo Volkhardt (links) absolviert in der Gedenkstätte im südfranzösischen Izieu ein Freiwilliges Soziales Jahr (Foto: Joachim Gerhardt)

Mit seinem Lied "Die Kinder von Izieu" hat Reinhard Mey 44 Mädchen und Jungen ein musikalisches Denkmal gesetzt. Sie und ihre Betreuer fielen im April 1944 dem Judenhass der Nazis zum Opfer. Bis heute erinnert eine Gedenkstätte an ihr Schicksal.

Das Ehepaar Sabine und Miron Zlatin, das in den 1920er Jahren aus Polen bzw. Russland nach Frankreich gekommen war, richtet im Mai 1943 in dem südfranzösischen Dorf Izieu eine Kolonie für Flüchtlingskinder ein. Es handelt sich dabei überwiegend um jüdische Kinder, deren Eltern verfolgt werden oder von den Nazis bereits getötet worden waren. Bis zum Januar 1944 haben 105 Kinder in Izieu eine Zuflucht gefunden. Dabei ist die Kolonie oft eine Übergangslösung. Etliche Kinder bleiben nur vorübergehend, werden in andere Häuser, Pflegefamilien oder Schleuserorganisationen weitervermittelt.

Auf Befehl von SS-Hauptsturmführer Klaus Barbie, der seit 1942 Chef der Gestapo in Lyon im besetzten Südfrankreich ist, unternimmt ein Wehrmachtskommando am Morgen des 6. April 1944 eine Razzia in Izieu. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich dort 45 Kinder im Alter zwischen drei und 15 Jahren sowie acht Betreuer. Ein Erwachsener kann in letzter Minute fliehen, ein kleiner Junge wird später wieder freigelassen. Alle anderen (44 Kinder und sieben Betreuer) werden wegen ihrer jüdischen Abstammung verhaftet, auf Lastwagen verladen und abtransportiert. Zunächst geht es nach Darcy und wenige Tage später dann nach Auschwitz-Birkenau. Nur eine Erwachsene überlebt das Lager, alle anderen werden ermordet. Mehr Infos hier.

In der Gedenkstätte von Izieu werden ihre Namen, Gesichter und Briefe für die Nachwelt aufbewahrt. Leo Volkhardt absolviert hier ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) für die Aktion Sühnezeichen, führt die Besucher durch die Schule und das Kinderheim des Dorfes und erzählt von den Lebensgeschichten der Kinder, die so kaltblütig verschleppt und ermordet wurden – zum Beispiel von dem achtjährigen Georgy: "Georgy hat viele Briefe an seine Eltern geschrieben. Sehr detailliert, sehr kindhaft beschreibt er darin, was er isst, wo er gerade sitzt, was er mit seinen Kameraden gemacht hat, wie er das Weihnachtsgeschenk seiner Eltern mit den Kindern geteilt hat, die keine Eltern mehr haben (…) und es zeigt eben eine solche Menschlichkeit und eine solche Unschuld."

Dem Drahtzieher der Aktion, Klaus Barbie, kann erst 1987 der Prozess gemacht werden. Bis dahin hatten französische Gerichte ihn zwar schon mehrfach in Abwesenheit zum Tode verurteilt, aber britische, amerikanische und auch deutsche Geheimdienste hielten immer wieder ihre schützende Hand über den "Schlächter von Lyon", wie ihn der französische Widerstand getauft hatte. Mit ihrer Hilfe hatte Barbie sich über die sogenannte "Rattenlinie" nach Südamerika absetzen können und war in Bolivien untergetaucht.

Am 19. Januar 1983 wurde Barbie von der bolivianischen Polizei wegen Steuerhinterziehung festgenommen. Laut Wikipedia verhinderte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl "eine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland, um eine erneute Schulddebatte von Kriegsverbrechern im Land nicht aufkommen zu lassen." Anfang Februar 1983 wurde Barbie schließlich an Frankreich ausgeliefert und dort am 11. Mai 1987 vor Gericht gestellt. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und starb am 25. September 1991 im Alter von 77 Jahren in Lyon an Krebs.

Sonntag, 19.08.2018