"Foodsaver": Lebensmittel retten und verteilen

von Joachim Gerhardt

Sonntag, 20.09.2015

mehrere Plastikkörbe, mit Gemüse gefüllt
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Laut einer Studie der Uni Stuttgart von 2012 wirft jeder Bundesbürger pro Jahr durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel weg – das entspricht etwa zwei vollgepackten Einkaufswagen.

Im Dokumentarfilm "Taste the waste" aus dem Jahr 2011 stellt der Journalist Valentin Thurn fest: Die Hälfte aller Lebensmittel landet im Müll – allein in Deutschland seien das jährlich 20 Millionen Tonnen. Doch es geht auch anders.

Das zeigen zum Beispiel "Foodsaver" wie die Studentin Johanna Nolte. Sie gehört zu einer Gruppe von etwa 50 "Lebensmittelrettern" in Bonn, die täglich in der Stadt unterwegs sind, um noch genießbare Nahrungsmittel vor der Mülltonne zu bewahren. Gurken, Joghurts, Bananen, Salatköpfe, Brot oder Äpfel – alles, was Bäckereien oder Einzelhandelsgeschäfte nach Ladenschluss entsorgen würden, weil es für den Verkauf nicht mehr frisch genug ist, holen die "Foodsaver" ab und teilen es mit anderen.

"Ich verteil das an Nachbarn, an Freunde, an der Uni", erzählt Johanna Nolte, die auch in der Evangelischen Studierendengemeinde in Bonn aktiv ist: "Wenn man sieht, wie die Leute sich freuen und wenn zum Beispiel die alte Frau bei mir nebenan dann endlich auch mal wieder was Frisches im Kühlschrank hat, weil sie sagt, selbst kann sie nicht rausgehen, das ist dann wirklich richtig schön. Und man lernt halt ganz viele Leute kennen, die man sonst nicht kennen lernen würde."

Auch in der Kölner Thomaskirchengemeinde von Pfarrerin Eva Esche wird "Foodsharing" praktiziert. Abnehmer seien hier alleinerziehende Mütter und Hartz IV-Bezieher, so die Pfarrerin. Es kämen aber auch viele Gemeindeglieder, "die wir im Gottesdienst dazu eingeladen haben". Anders als bei den sogenannten "Tafeln", die ebenfalls Lebensmittel einsammeln und verteilen, muss beim "Foodsharing" niemand seine Bedürftigkeit nachweisen. Unter den Abholern finden sich deshalb auch ganz "normale" Bürger, die sich von der Idee ansprechen lassen, völlig intakte Lebensmittel lieber untereinander zu verteilen, als sie in den Müll zu werfen.

Auch die Geschäftsleute sind nach den Erfahrungen von Johanna Nolte sehr aufgeschlossen für das "Foodsharing" – unter anderem weil es Kosten einspart: "Einige Betriebe konnten schon Mülltonnen abschaffen, für die sie dann natürlich keine Gebühren mehr zahlen müssen. Wir übernehmen (…) das Aussortieren von den Lebensmitteln und auch die Mülltrennung und -entsorgung, sodass dafür auch kein Mitarbeiter abgestellt werden muss. Und es ist natürlich ein positives Image, dass die Geschäfte sich um Nachhaltigkeit bemühen."

Wie groß das Problem der Lebensmittelverschwendung ist, zeigte vor vier Jahren eine Befragung, die vom Bundesministerium für Verbraucherschutz durchgeführt wurde. Der zufolge werfen 84% der befragten Bundesbürger Lebensmittel weg, weil sie verdorben sind oder weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Dabei sind viele Nahrungsmittel auch nach Ablauf des Datums noch gefahrlos zu verzehren. "Wenn Farbe, Konsistenz und Geruch in Ordnung sind, kann das Produkt auf den Tisch", heißt es dazu z.B. im Apothekenmagazin "BABY und Familie". Ausnahmen seien leicht verderbliche Waren wie zum Beispiel Hackfleisch. Das sollte nach Ablauf des Verbrauchsdatums auf jeden Fall entsorgt werden. Weitere Ergebnisse: Ein Viertel der Befragten entsorgt Lebensmittel, weil sie zu viel davon eingekauft haben, 19% machten zu große Packungen verantwortlich und 16% gaben an, Essen in den Müll zu geben, weil es ihnen nicht schmeckt. Statistisch gesehen landen deshalb jedes Jahr pro Familie 100 Kilo Lebensmittel im Müll.

Nicht nur in den reichen Industriestaaten wandern Nahrungsmittel in die Tonne. In armen Ländern verdirbt Nahrung meist, weil geeignete Lager und Verpackungen fehlen. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO geht so etwa ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion als Abfall verloren. "Der Auftakt eines schlimmen Kreislaufs: Je mehr Essen im Müll landet, desto stärker wächst die Nachfrage nach Rohstoffen. Die Preise steigen, arme Menschen können die Nahrung nicht mehr bezahlen", schreibt dazu das Verbraucherportal www.test.de .

Sonntag, 20.09.2015