Debatte: Flucht und Migration

von Dr. Christof M. Beckmann

Sonntag, 01.07.2018

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Mehr als 13.000 Tote seit Anfang 2015 im Mittelmeer, mehr als 1000 Ertrunkene in diesem Jahr. Diese bittere Bilanz zog jetzt der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz. Und wandte sich gegen das Hin und Her um die Rettungsschiffe im Mittelmeer...

INFO: Bereits am 19. Juni hatte die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Brüssel an die 30.000 Menschen erinnert, die seit dem Jahr 2000 bei ihrer Flucht nach Europa gestorben sind. Aktuelle Ereignisse zeigten, dass das Leben der über das Mittelmeer flüchtenden Menschen keine Priorität für politische Entscheidungsträger habe. Dies deute „auf einen moralischen Bankrott sowie ein Scheitern beim Umsetzen europäischer Werte“ hin, so die KEK, in der 116 orthodoxe, anglikanische, evangelische und altkatholische Kirchen in Europa vertreten sind.

Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz zur Seenotrettung auf dem Mittelmeer: Am 26. Juni griff der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin die Frage der Seenotrettung im Mittelmeer auf. In seiner Erklärung verwies er auf mehr als 13.000 Tote seit Anfang 2015 im Mittelmeer und mehr als tausend Ertrunkene allein in diesem Jahr. Zur Frage der Rettungsschiffe, denen die Landung in europäischen Häfen verweigert wird, stellte der Rat fest: „Wir erinnern daran, dass die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot im Völkerrecht verankert ist. Entweder der Staat nimmt sich dieser Aufgabe selbst an oder er muss nichtstaatliche Organisationen handeln lassen und sie unterstützen. Wer beide Wege blockiert, nimmt Leiden und Tod von Flüchtlingen sehenden Auges in Kauf. Dem Trend, so zu handeln, widersprechen wir als Kirche mit Nachdruck. Die grundlegenden Standards der Humanität dürfen niemals zur Disposition gestellt werden. Die Grenze Europas darf keine Grenze des Todes sein.
Die dramatische Situation im Mittelmeer zeigt: Gemeinsame Antworten im Geiste europäischer Solidarität sind notwendiger denn je. Die Staaten im Süden der Europäischen Union dürfen nicht alleingelassen werden. Anstelle nationalstaatlicher Egoismen braucht Europa eine faire Verantwortungsteilung, bei der jeder Staat seinen angemessenen Beitrag leistet.“

Menschen auf der Flucht weltweit: Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR war die Zahl der vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehenden Menschen noch nie so hoch wie heute. Ende 2017 befanden sich 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, davon 52 Prozent Kinder unter 18 Jahren. Im Vergleich dazu waren es ein Jahr zuvor noch 65,6 Millionen Menschen, vor zehn Jahren 37,5 Millionen. 85 Prozent der Flüchtlinge heute (9 von 10) leben danach in Entwicklungsländern, etwa nur jeder siebte Flüchtling erreichte reiche Industrieländer. Die Auflistung bezieht sich auf Schutzberechtigte, Asylbewerber und aus anderen humanitären Gründen Bleibeberechtigte, sogenannte Persons of Concern. Größtes Herkunftsland von Flüchtlingen bleibt weltweit Syrien (6,3 Millionen). Zahlen & Fakten: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten/

Zahlen sind Schicksale: In Deutschland, dem größten Aufnahmeland in Europa, nahm die Zahl der Asylsuchenden im Vergleich zu 2016 deutlich ab: Ende Dezember 2017 lebten insgesamt 1,41 Millionen Migranten in der Bundesrepublik. Allein in Nordrhein-Westfalen gab es mit 433.236 Menschen mehr Asylbewerber als in Frankreich (402.000), Italien (355.000), Schweden (328.000), Österreich (173.000) oder Griechenland (83.000). Insgesamt hat sich die Zahl der nach Europa kommenden Migranten im Vergleich zu 2015 massiv um etwa 95 Prozent reduziert: Statt 10.000 Migranten pro Tag kommen auf den griechischen Inseln nach dem im Frühjahr 2016 abgeschlossenen EU-Türkei-Abkommen heute nur noch rund 80 an. Nach der Schaffung der Europäischen Grenz- und Küstenwache sank die Zahl auf der Route von Libyen nach Italien um 77 Prozent im Vergleich. Nach Angaben der EU-Kommission wurden seit Beginn der verschiedenen EU-Operationen knapp 635.000 Menschen auf dem Mittelmeer gerettet und rund 150 Menschenhändler festgenommen. Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland und Malta fordern Entlastung, die ostmitteleuropäischen sogenannten Visegrad-Staaten wollen keine Flüchtlinge aufnehmen.
„Die aktuellen Abschottungstendenzen in der europäischen Flüchtlingspolitik befördern auf fatale Art und Weise jene Globalisierung der Gleichgültigkeit, die Papst Franziskus schon vor Jahren beklagte“, erklärte Caritas-Präsident Peter Neher. Schließe man die Grenzen Europas, verlagerten sich lediglich die Fluchtrouten, so Neher am 28. Juni, und forderte, konsequenter auf die weltweiten Zusammenhänge zu schauen und sich nicht nur mit den Auswirkungen in Deutschland und Europa zu beschäftigen. Die Verantwortung zur inhaltlichen Prüfung von Schutzgründen müsse weiterhin in der EU stattfinden und dürfe nicht auf Drittstaaten abgewälzt werden.

Ergebnisse des EU-Gipfels zur Asylpolitik: Am Freitagmorgen, 29. Juni, legten die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel die Ergebnisse von rund 12-stündigen Verhandlungen vor: Sie einigten sich unter anderem auf schärfere Richtlinien für private Rettungsschiffe, die Einrichtung geschlossener Aufnahmelager für Bootsflüchtlinge innerhalb der EU. In auf freiwilliger Basis eingerichtete Zentren soll ihr Schutzstatus geprüft werden, Asylberechtigte sollten anschließend in andere EU-Länder dürfen, wenn diese zustimmten. Darüber hinaus sollen Auffanglager in Ländern im Norden Afrikas entstehen, für den Grenzschutz soll Frontex bis 2020 aufgestockt werden, die Türkei erhält im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsabkommen eine zweite Tranche in Höhe von drei Milliarden Euro, auch die finanziellen Hilfen für Afrika im Africa Trust Fund sollen erhöht werden.
Vertreter von Hilfsorganisationen reagierten auf die Beschlüsse überwiegend kritisch und sehen das Grundrecht auf Asyl in Gefahr. Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Außengrenzen verstießen gegen europäische Menschenrechte. „Die aktuellen Abschottungstendenzen in der europäischen Flüchtlingspolitik befördern auf fatale Art und Weise jene Globalisierung der Gleichgültigkeit, die Papst Franziskus schon vor Jahren beklagte“, erklärte Caritas-Präsident Peter Neher. Schließe man die Grenzen Europas, verlagerten sich lediglich die Fluchtrouten, so Neher bereits vor dem Gipfel am 28. Juni, und forderte, konsequenter auf die weltweiten Zusammenhänge zu schauen und sich nicht nur mit den Auswirkungen in Deutschland und Europa zu beschäftigen. Die Verantwortung zur inhaltlichen Prüfung von Schutzgründen müsse weiterhin in der EU stattfinden und dürfe nicht auf Drittstaaten abgewälzt werden. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, wertete dagegen die Einigung zur Flüchtlingsfrage als „gutes Zeichen für Europa“. Doch müsse bei den geplanten Lagern in Europa als auch in Afrika beachtet werden, dass mit den Betroffenen menschlich umgegangen werden: „Selbst der, der kein Recht auf den Flüchtlingsstatus hat, muss menschlich behandelt werden und menschlich zurückgeführt werden.“ Der Migrationsbeauftragte von Papst Franziskus, P. Michael Czerny SJ, warnte davor, Auffanglager in Libyen zu errichten. Als gescheiterter Staat sei Libyen ungeeignet, „zur Lösung der europäischen Probleme beizutragen“, sagte der Untersekretär in der für Flüchtlingsfragen zuständigen Vatikanbehörde. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fordert die Einhaltung humanitärer Standards sieht kritisch auf die geplanten „Ausschiffungsplattformen“ außerhalb der EU.

Unser Gesprächspartner: Dr. theol. Stefan Zekorn, geboren 1959 in Datteln, studierte Philosophie und Theologie in Münster und Rom und wurde 1984 zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren in Warendorf, St. Laurentius, berief ihn der damalige Bischof von Münster, Reinhard Lettmann, zum Bischofskaplan und Privatsekretär. Zugleich wurde Zekorn Domvikar und übernahm als Subsidiar in Münster-Albachten St. Ludgerus Aufgaben am Bischöflichen Offizialat in Münster. Zeitgleich setzte er sein Studium fort, das er 1992 mit einer Doktorarbeit über den deutschen Theologen und Mystiker Johannes Tauler abschloss. Ab 1992 war Zekorn Spiritual am Theologenkonvikt Collegium Borromaeum in Münster und Zeremoniar am Paulusdom. 2006 ernannte ihn der Bischof zum Pfarrer an Sankt Marien in Kevelaer und damit zum Wallfahrtsrektor des Bistums, kurz darauf auch zum nicht residierenden Domkapitular in Münster. Am 3. Dezember 2010 wurde Stefan Zekorn von Papst Benedikt XVI. zum Titularbischof von Aquae Albae (Mauretanien/Afrika) und zum Weihbischof für die Regionen Münster und Warendorf mit rund 355.000 Katholiken ernannt. Die Bischofsweihe empfing er am 13. Februar 2011.

Missio-Truck in Essen: Über Fluchtursachen informiert der missio-Truck auf vielen Touren durch NRW, organisiert Informationsveranstaltungen und Vorträge. Die multimediale Ausstellung „Menschen auf der Flucht. Weltweit“ zeigt am Beispiel des Kongo, was Flucht bedeutet. Der pädagogisch begleitete Truck kann von Schulen, Bildungseinrichtungen, Verbänden, Gemeinden und allen gemietet werden, die auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam machen möchten. Derzeit ist er vom 2. bis zum 13. Juli im Bistum Essen unterwegs, u.a. steht er am 7. Juli zum ersten Sommerfest am Dom beim „Flohmarkt am Dom“ auf dem Burgplatz.
Kontakt: Meinrad Rupieper, Bistum Essen, Abteilung Weltkirche und Mission - missio Diözesanstelle, Zwölfling 16, 45127 Essen, Tel. 0201 / 2204-372, Fax 0201 / 2204-460, E-Mail: meinrad.rupieper@bistum-essen.de. Internet: https://www.missio-hilft.de/mitmachen/aktion-schutzengel/aktionen/missio-truck/, Downloads zum missio-Truck: Informationsflyer für Veranstalter zum missio-Truck (pdf, 1 MB),  Flyer Bildungsangebote zum missio-Truck.  

Sonntag, 01.07.2018