Pflege 24/7: Was Eltern behinderter Kinder leisten

von Sabine Langenbach

Sonntag, 15.05.2022

Mutter mit einer behinderten Tochter
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Susan Schlagmann und ihre Tochter Lydia, die schwerst mehrfachbehindert zur Welt kam. (Foto: privat)

Zu wenig Personal, zu wenig Lohn, zu wenig Anerkennung. Die Probleme in den pflegenden Berufen sind seit Jahrzehnten bekannt. Kaum auf dem Schirm ist dagegen die Situation der pflegenden Angehörigen – und das sind bundesweit viele.

Von den gut 4,1 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden 3,3 Millionen zu Hause versorgt und davon wiederum 2,1 Millionen ausschießlich durch Angehörige. In weiteren 982.000 Fällen erhalten die Angehörigen Unterstützung durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste (alle Zahlen: Bundesamt für Statistik 2019). Neben sehr alten und kranken Menschen finden sich unter den Pflegebedürftigen auch über 110.000 behinderte oder chronisch kranke Kinder. Hier sind es oft die Väter und Mütter, die die Versorgung und Pflege zu Hause übernehmen.

Die Interessenvertretung und Selbsthilfe „Wir pflegen“ e.V. schreibt dazu auf ihrer Internetseite: „Familien, die ein Kind mit Behinderung oder chronischer Krankheit pflegen, sind in vielerlei Hinsicht unsichtbar. Sie werden weder in der Familien- noch Pflegepolitik ausreichend berücksichtigt. Auch Kinder mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen haben ein Recht auf Teilhabe und Bildung. Ihre Eltern brauchen mehr Anerkennung und Unterstützung. Sie müssen in den Blick genommen und als gleichberechtigte Partner in der Pflege wahrgenommen werden.“ Mit einer Expertengruppe pflegender Eltern hat der Bundesverband wir pflegen e.V. deshalb Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet, die Interssierte hier herunterladen können.

Als Kernprobleme pflegender Eltern wurden u.a. identifiziert:

1. Zuviel Bürokratie, zu wenig passgenaue Beratung
2. Fehlende zuverlässige Entlastungsangebote und Betreuung für Kinder mit Behinderungen
3. Zu hohe finanzielle Belastung, Unsicherheit und Zukunftsängste
4. Fehlende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
5. Mangelhafte Umsetzung von Inklusion und Teilhabe
 

Als Handlungsempfehlungen werden u.a. genannt:

  • Fünf Sozialgesetzbücher als Grundlage für die Angehörigenpflege und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen mit diversen Regelungen sind zu undurchsichtig. Bürokratie muss abgebaut, das bestehende System vereinfacht werden.
  • Eindeutige Zuständigkeiten müssen geschaffen, ein Weiterreichen und Verzögern zu Lasten der pflegebedürftigen Kinder und ihrer Eltern vermieden werden („Case Management“).
  • Längerfristige Bewilligung und Geltungsdauer von Pflegegraden, Behindertenausweisen, Hilfs- und Heilmittelversorgung und anderen Entlastungsangeboten zur Verminderung des Verwaltungsaufwands sind erforderlich, insbesondere bei chronischer und lebenslanger Behinderung.
  • Bewilligung der Grundsicherung auf mindestens drei Jahre, ohne jährliche Antragspflicht, mit Vereinfachung der Berichterstattung.
  • Automatischer Pflegegrad 1 bei Erkrankung des Kindes ab Geburt.
  • Klarer definierte Verantwortung und Leistungspflicht der Kassen und Kommunen, insbesondere für ressortübergreifende Entscheidungen wie Teilhabeleistungen, Persönliche Budgets, Hilfsmittelbewilligung und Finanzierung relevanter Leistungen.

 

Den Pflegenden – sei es privat zu Hause, in Krankenhäusern, Altenheimen oder Hospizen – ist seit fast 50 Jahren ein eigener Gedenktag gewidmet: In Erinnernung an den Geburtstag der britischen Pflegepionierin Florence Nightingale gilt der 12. Mai als „Internationaler Tag der Pflegenden“

Sonntag, 15.05.2022