Papst: Mehr Zeit für Familie

von Dr. Christof M. Beckmann

Sonntag, 10.04.2016

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„Wir müssen die Familie schützen“, appellierte Papst Franziskus in seinem Gebetsanliegen im März per Video. Jetzt ist sein post-synodales Schreiben zu den langen Beratungen vom Oktober 2014 und vom Oktober 2015 der Bischöfe weltweit erschienen.

INFO: Das am 8. April vorgestellte rund 200 Seiten lange „Nachsynodale Apostolische Schreiben des Heiligen Vaters Franziskus an die Bischöfe, Priester und Diakone, Personen geweihten Lebens, die christlichen Eheleute und an alle christgläubigen Laien" über die Liebe in der Familie“ trägt den Titel „Amoris laetitia“, übersetzt: „Freude der Liebe“. Als nachsynodales Schreiben hat der Text des Papstes lehrmäßigen und verbindlichen Charakter. Präsentiert wurde der Text bei einer Pressekonferenz durch Kardinal Lorenzo Baldisseri, Generalsekretär der Synode, und Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien. Papst Franziskus fasst in seiner offiziellen „postsynodalen Apostolischen Exhortation“ (übersetzt: „Ermutigung“) Ergebnisse der Bischofssynoden vom Oktober 2014 und Oktober 2015 in eigener Weise zusammen. Die Synodenleitung hatte die diskutierten Punkte in 94 Abschnitten zusammengefasst, über die jeweils einzeln abgestimmt wurde. Dabei erhielten mehrere Paragrafen nur knapp die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Nicht nur Katholiken erwarteten jetzt ein klärendes Wort des Papstes zu strittigen Themen wie dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, zur Sexualmoral und zum Umgang mit Homosexualität.

Papst Franziskus will nach seinem verbindlichen Lehrschreiben mehr Barmherzigkeit in der Anwendung der kirchlichen Morallehre zulassen, hält aber grundsätzlich an den geltenden Normen zu Ehe und Familie fest. Priester und Bischöfe dürften moralische Gesetze nicht anwenden, „als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“. Wie bereits der Titel deutlich macht, geht es dem Papst vor allem darum, für Ehe und Familie zu werben. Er stellt explizit die spirituelle Dimension des Lebens in Ehe und Familie heraus, betont die Unauflösbarkeit katholischer Ehen sowie den Wert der traditionellen Familie, bemängelt aber auch eine „übertriebene Idealisierung“ der Ehe durch die Kirche, die häufig ein „allzu abstraktes theologisches Ideal“ vertreten habe.

Franziskus mahnt eine realistischere Sicht an und erklärt, dass „dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen“. Dennoch bekräftigt er den Wert der Keuschheit vor der Ehe und fordert zugleich eine bessere Vorbereitung junger Paare auf die Ehe. Er wendet sich ausdrücklich gegen übereilte Eheschließungen, die allein dem Ziel dienten, Geschlechtsverkehr zu ermöglichen und unterstreicht den Wert körperlicher Liebe in der Ehe, die Bedeutung von Leidenschaft und Zärtlichkeit. Seine ausnehmend positive Würdigung der menschlichen Sexualität und der Erotik unterstreicht: „Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert.“ (Nr. 152) Künstliche Befruchtungen verurteilt er als Akt der Manipulation des Lebens, denn die Zeugung eines Menschen könne nicht von der sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau abgekoppelt werden.

Verfahren zu Eheannullierungen sollen schneller vonstatten gehen, fordert Papst Franziskus. Mit Blick auf wiederverheiratete Geschiedene deutet er an, dass im Zuge einer Güterabwägung ein Kommunionempfang im Einzelfall möglich sein könnte, auch wenn die Betroffenen in ihrer zweiten Beziehung nicht sexuell enthaltsam lebten. Hier gebe es „keine Patentrezepte“: Beim Scheitern einer Ehe sei die Verantwortung „nicht in allen Fällen gleich“. Eine unterscheidende Betrachtung müsse „anerkennen, dass die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein müssen“ (Artikel 300). Ein starkes Gewicht wird hier dem Beichtvater und dem eigenen Gewissen der Gläubigen zugemessen: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ Verteidiger der bisherigen Praxis wenden dagegen ein, dies würde gegen das Wort Jesu von der Unauflöslichkeit der Ehe verstoßen und die bisherige Lehre sei unabänderlich, da das Evangelium keine Änderungen zulasse. Jedoch spricht sich der Papst gemäß seinem Leitbegriff der Barmherzigkeit für eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall aus - bereits zuvor hatte er wiederholt erkennen lassen, dass er mehr Spielraum für den Seelsorger im konkreten Einzelfall möchte - und eben nicht alles von Rom geregelt werden müsse. Damit stärkt Franziskus die Rolle der Ortskirchen und der einzelnen Bischöfe, denen er mehr Eigenständigkeit und Interpretationsspielraum in der Anwendung der kirchlichen Lehre zugesteht.

Auf den Umgang mit Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren, der unter den Teilnehmern der Bischofssynoden 2014 und 2015 besonders umstritten war, geht der Papst nur kurz ein und nicht über die bisherige Kirchenposition hinaus, nach der es eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geben kann. Er verurteilt die Diskriminierung Homosexueller, denen die Kirche zur Seite stehen soll. Jede Person sei unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung in ihrer Würde zu achten und verdiene Respekt. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften aber dürften nicht der Ehe angeglichen werden: Es gebe „keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn“. Hier sei unannehmbar, dass internationale Organisationen die Finanzhilfe für arme Länder von der Einführung einer gleichgeschlechtlichen Ehe abhängig machten (Artikel 251). Als völligen Irrweg sieht Franziskus die sogenannte Gender-Lehre. Es handele sich dabei um eine radikale Ideologie, die das natürliche Verhältnis von Mann und Frau leugne. Deren Relativierung der Geschlechter ignoriere die biologische Verschiedenheit von Mann und Frau und untergrabe die natürlichen Grundlagen von Familie.

Dagegen verurteilt Papst Franziskus jede Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, verweist auf häusliche Gewalt und sexueller Erniedrigung, insbesondere die „schlimme Genitalverstümmelung der Frau in manchen Kulturen“. Die Ausrottung „unannehmbarer frauenfeindlicher Bräuche“ sei noch nicht gelungen. Er verurteilt auch Ungleichheiten in der Arbeitswelt, wie etwa beim Zugang von Frauen in Führungspositionen: „Die Geschichte trägt die Spuren der Ausschreitungen der patriarchalen Kulturen, in denen die Frau als zweitrangig betrachtet wurde“, so der Papst, und verteidigt den Feminismus: Manche meinten, „viele aktuelle Probleme seien seit der Emanzipation der Frau aufgetreten“, doch dies sei kein gültiges Argument gegen die Gleichberechtigung: „Es ist falsch, es ist nicht wahr!“ Dies sei eine Form des Chauvinismus. „Wenn Formen des Feminismus aufkommen, die wir nicht als angemessen betrachten können, bewundern wir gleichwohl in der deutlicheren Anerkennung der Würde der Frau und ihrer Rechte ein Werk des Heiligen Geistes.“ Die identische Würde von Mann und Frau sei für die Kirche „ein Grund zur Freude darüber, dass alte Formen von Diskriminierung überwunden werden und sich in den Familien eine Praxis der Wechselseitigkeit entwickelt.“

Das päpstliche Lehrschreiben „Amoris laetitia“ zu Ehe, Familie und Sexualität erscheint am 20. April auf Deutsch. Das übersetzte Dokument erscheint mit Einführungen und Stichwortverzeichnis im der Herder Verlag in München. Die Einführungen stammen vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, dem Berliner Erzbischof Heiner Koch und dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Sie hatten im Herbst 2015 an der vatikanischen Familiensynode teilgenommen. Am 21. April wird eine Ausgabe des Patmos-Verlag mit Sitz in Ostfildern folgen. Die Einführung in das mit einem Themenschlüssel versehene Buch „Die Freude der Liebe. Das Apostolische Schreiben 'Amoris laetitia' über die Liebe in der Familie“ liefert ZDF-Vatikankorrespondent Jürgen Erbacher.

Hinweise: Das Nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie“ liegt in deutscher Sprache vor und ist auf der Internetseite des Vatikans zu finden. Die Zusammenfassung des Nachsynodalen Schreibens des Heiligen Stuhls sowie weitere Informationen und Dokumente zur Synode sind im Dossier „Bischofssynode“ verfügbar. Anlässlich des Familiensonntags am 17. Januar 2016 veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz eine Arbeitshilfe unter dem Thema „Was jetzt wichtig ist – Perspektiven nach der Familiensynode“. Sie bietet Impulse und Anregungen für den Rückblick auf die Synode und für den Ausblick auf die Seelsorge. Internet: http://www.ehe-familie-kirche.de/

Hier das Statement von Bischof Dr. Felix Genn, Münster:


Woche für das Leben 2016:
Gestern wurde in Mainz die seit über 20 Jahren von den Kirchen gemeinsam getragene bundesweite „Woche für das Leben“ eröffnet. Unter dem Leitwort „Herr, Dir in die Hände“ geht es 16. April 2016 in diesem Jahr um das „Alter in Würde”, um den Alltag hoch betagter Menschen, um Fragen wie Altersdiskriminierung, Pflege und aktive Lebensgestaltung in der sogenannten vierte Lebensphase. Ein Themenheft bietet weitere Anregungen für die Praxis, für ökumenische Gottesdienste, Gebete in Krankheit und im Alter sowie weiterführende Literaturhinweise und Internetlinks.
Internet:
www.woche-fuer-das-leben.de

Hilfe für Familien:
Zwar stehen Familie und Kinder stehen in Deutschland hoch im Kurs. Überwältigend ist der Wunsch nach Kindern, doch es wächst - trotz einem jüngst gemeldeten Geburtenhoch 2015 - nur der Anteil der Alten. Familie und Beruf unter einen Hut bekommen, das ist auch für die immer mehr Alleinerziehenden schwierig. Für die meisten bleibt kaum Zeit für die Kinder und sie fühlen sich überfordert. Zugleich steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte und Einsamkeit ist der stärkste Grund für Anrufe bei der Telefonseelsorge. Immer stärkere Anfragen verzeichnet auch die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung (ELF) mit ihren bundesweit 350 Beratungsstellen und ca. 1300 katholischen EFL-Beraterinnen und –Beratern. Die Beratungsstellen stehen jedem offen - unabhängig von Konfession, Weltanschauung und Nationalität, die Beratungen sind grundsätzlich kostenfrei. Auch die (Erz-)Bistümer bieten seit rund 50 Jahren Ehe-, Familien- und Lebensberatung an. Das flächendeckende Angebot von 72 katholischen Beratungsstellen arbeitet mit mehr als 300 Fachkräften.
Internet:
www.katholische-eheberatung.de
Sonntag, 10.04.2016