Kirchenaustritte sind ein Problem

von Christof Beckmann

Sonntag, 25.10.2020

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Foto: KiP

Wenn die Kirche abgerissen wird, fehlt nicht nur dem Stadtteil die Mitte. Wenn die Menschen die Kirche verlassen, wird das auch in anderer Hinsicht zum Problem, warnt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg ...

INFO: Nach aktuellen Zahlen zählt die Evangelische Kirche in Deutschland 20,7 Millionen Mitglieder, die Katholische Kirche zählt 22,6 Millionen (Stand: 31.12.2019). Seit 2012 allerdings haben sie deutliche Verluste zu verzeichnen: (ev.: 23,4 Mio. bzw. kath: 24,34 Mio.). Allein 2019 haben die großen christlichen Kirchen massiv an Mitgliedern verloren: Mehr als eine halbe Million Katholiken und Protestanten traten aus den Glaubensgemeinschaften aus – so viele wie nie zuvor. Auch das Vertrauen in die Kirchen liegt auf vergleichsweise niedrigem Niveau: Die evangelische Kirche liegt nach einer letzten Forsa-Umfrage bei 36 Prozent und die katholische Kirche bei 16 Prozent. Obwohl sie demnach noch mehr als die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung binden, ist ihre Rolle zunehmend in Frage gestellt.

Dies zeigt auch die Debatte um die „Systemrelevanz“ von Kirche in den vergangenen Monaten der Pandemie. Dazu meldete sich in den letzten Wochen unter anderem auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer und Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zu Wort. Landsberg vertrat die Auffassung, die Daten zur Entwicklung der Kirchen seien eine Gefahr für die Sozialstrukturen im Staat und in den Kommunen: Die Kirche ist im wahrsten Sinne des Wortes mit ihren Pfarrerinnen und Pfarrern systemrelevant“, erklärte er. „Ohne ihren Beistand werden viele Menschen nicht ohne Schäden durch die Krise kommen können. Umso erstaunlicher ist, dass in der langen Liste von Berufsgruppen und Berufsbezeichnungen, die von der Landesregierung als systemrelevant eingestuft werden, die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht auftauchen.“ (DStGB-Aktuell: „KIRCHEN UND IHRE EINRICHTUNGEN SYSTEMRELEVANT FÜR STAAT UND KOMMUNEN“) Hier seien, so Landsberg, aber auch die Kirchen selbst gefordert, Gegenstrategien zu entwickeln: „Dazu gehören neue Kommunikationskonzepte, auch in den sozialen Medien, und ein anderer Umgang mit den Kirchensteuerzahlenden. Etwa der Hinweis an jeden Einzelnen mit einem Dankeschön für die Kirchensteuer und was im zurückliegenden Jahr mit diesen Geldern bewirkt werden konnte.“

Kirchenmitgliedschaft sei schon lange „kein Selbstläufer“ mehr, meinte Landsberg: „Das müssen die Kirchen stärken in den Blick nehmen und ihr Kerngeschäft „Die Seelsorge für die Menschen“ in den Vordergrund stellen. In der Öffentlichkeit ist auch viel zu wenig bekannt, dass zum Beispiel Caritas und Diakonie von den Kirchen getragen werden und einen wesentlichen Baustein unseres Sozialstaates darstellen. Kirche und diese Einrichtungen sind praktisch zwei Seiten der gleichen Medaille. Gerade in einer Gesellschaft, wo Hass, Zwietracht und Extremismus zunehmen, kann die Kirche eine Schlüsselposition einnehmen. Es bleibt auch zu prüfen, ob das bisherige Verfahren der Kirchenaustritte nicht jedenfalls teilweise über die Kirchen selbst organisiert werden sollte. Bisher erfährt die Kirche von einem Austritt erst dann, wenn er bereits vollzogen ist. Nur wer Vertrauen gewinnt, dafür wirbt und stets auf seine Mitglieder zugeht, wird am Ende erfolgreich sein“, so eine Pressemitteilung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Mehr: Video-Statement von DStGB-Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg

Unser Gesprächspartner: Dr. Gerd Landsberg war Richter am Landgericht Bonn, am Oberlandesgericht Düsseldorf sowie Referent im Bundesministerium der Justiz. 1996 wurde Landsberg zum Geschäftsführenden Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) gewählt und führt den föderal organisierten und parteipolitisch unabhängigen Verband seit dem 1. Januar 1998 als Hauptgeschäftsführer. Sitz des eingetragenen Vereins ist Berlin, die Besetzung der Gremien orientiert sich an dem Votum der Wähler bei den Kommunalwahlen. Der kommunale Spitzenverband vertritt die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung kreisangehöriger Gemeinden in Deutschland und Europa. Kontakt: Deutscher Städte- und Gemeindebund, Marienstrasse 6, 12207 Berlin (Lichterfelde), Tel. 030 / 773 07-0, E-Mail: dstgb@dstgb.de, Internet: https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/

Aktuelle Nachrichten zur Corona & Kirchen: In Teilen Nordrhein-Westfalens müssen Gläubige ab einer Sieben-Tages-Inzidenz von 35 aktuell eine Maske während des gesamten Gottesdienstes tragen, so im Erzbistum Paderborn, im Bistum Münster und im Bistum Essen. Das Bistum Aachen empfiehlt seit Anfang Mai einen Mund-Nase-Schutz im Gottesdienst. Das Erzbistum Köln erarbeitet derzeit einen Vorschlag erarbeite, wie seine Pfarreien die aktuelle Corona-Schutzverordnung des Landes umsetzen sollen. In der seit Samstag geltenden neuen Schutzverordnung des Landes NRW ist festgelegt, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften die Erfordernisse berücksichtigen müssen, die sich aus erhöhten Sieben-Tages-Inzidenzen ergeben. Die Landesregierung hat für Versammlungen zur Religionsausübung keine Vorschriften aufgestellt, weil die Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst für eine dem Infektionsschutz genügende Durchführung sorgen. In NRW hatten die katholische und evangelische Kirche während der ersten Corona-Welle entschieden, öffentliche Gottesdienste zeitweise auszusetzen. Regierungen in anderen Bundesländern sprachen Verbote aus. Seit Mai dürfen wieder Besucher zu den Gottesdiensten in NRW kommen, allerdings unter Auflagen.

Sonntag, 25.10.2020