Jerusalem: Frieden für die Stadt des Friedens

von Johanna Risse

Sonntag, 15.01.2023

Jerusalem, Collage KIP
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Jerusalem, Collage KIP

Ein umstrittener Besuch auf dem Tempelberg, Proteste gegen die Regierung: Der Frieden in Israel rückt gerade wieder ein ganzes Stück in die Ferne. Dabei ist der Frieden ständig da: denn Jerusalem wird auch gerne übersetzt mit „Stadt des Friedens“.

INFO: Seit gut 7.000 Jahren leben dort Menschen, heute ist sie über 900.000 Einwohner groß. In der Poesie und der Religion ist sie die „Heilige Stadt“: Jerusalem, die Stadt des einen, einzigen Gottes, den Juden, Christen und Muslime verehren. Ihren Namen übersetzt man gerne mit „Stadt des Friedens“, weil das Wort „shalom“ drinsteckt. Doch jeder weiß: Es bleibt – auch nach der Unabhängigkeit vor 75 Jahren und 50 Jahren nach dem Jom-Kippur-Krieg – weiter kompliziert.

Am 14. Mai 1948 erklärte Israel seine Unabhängigkeit. Schon einen Tag später zogen Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak gegen den jungen Staat in den Krieg, doch Israel konnte sich behaupten. Vor 50 Jahren, am 6. Oktober 1973, begann mit dem Jom-Kippur-Krieg der arabischen Staaten ein weiterer Krieg, in dem Israel standhalten konnte. Die seit Jahrhunderten vorgeprägten Differenzen haben sich seitdem nicht entschärft – im Gegenteil: So drohe nach Auffassung seiner katholischen Bischöfe durch spalterische Tendenzen in Teilen der neuen Regierungskoalition ein weiterer Anstieg der Gewalt im Heiligen Land.

Wie die Katholische Nachrichtenagentur KNA am 11. Dezember 2022 berichtete, sei die schlechter werdende soziale und politische Lage besorgniserregend, so das Bischofsgremium AOCTS (Assemblee des Ordinaires Catholiques de Terre Sainte) und äußerte Bedenken zur künftigen Regierung in Israel. Mitglieder der Koalition hätten sich „sehr spaltend gegenüber der arabischen oder sonstigen nichtjüdischen Gemeinschaft“ geäußert. Damit schürten sie Misstrauen und legten den Grundstein für weitere Gewalt. „Gewalt in der Sprache schlägt früher oder später unweigerlich auch in physische Gewalt um“, so die Bischöfe. Sie riefen die politisch Verantwortlichen und die religiösen Führer aller Konfessionen auf, „die gegenseitige Achtung, und nicht Spaltung oder Hassgefühle zu fördern“. Vor diesem Hintergrund müsse sowohl im jüdischen wie im arabischen Umfeld in Bildung und Ausbildung investiert werden. Die jüngsten Kürzungen staatlicher Mittel gefährdeten die Zukunft einiger christlicher Bildungseinrichtungen, die eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielten. Weiter zeigten sie sich besorgt auch angesichts von Gewalt, Kriminalität und mangelnder Sicherheit innerhalb der arabischen Gesellschaft in Israel. Die Regierung müsse den arabischen Gemeinschaften mehr Aufmerksamkeit schenken und arabische Städte stärker fördern. Als besonders dramatisch beschreiben die Geistlichen die Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten. Dort würden Minderjährige inhaftiert, während israelische Siedler den Ausbau ihrer Siedlungen vorantrieben, wodurch der Lebensraum der Palästinenser schrumpfe. „Wir haben in diesem Jahr einen Anstieg der Gewalt erlebt, mit der höchsten Zahl palästinensischer Todesopfer seit mehr als 20 Jahren“, heißt es in der Stellungnahme. Auch Angriffe auf die jüdische Bevölkerung seien zu verzeichnen. Als hoffnungsvoll bezeichneten die Bischöfe indes die vielen Einzelpersonen, lokalen Vereinigungen und Bewegungen mit unterschiedlichem nationalem und religiösem Hintergrund, die sich weiterhin für Freundschaft und Solidarität einsetzten. Damit wirkten sie wie „Antikörper“ den immer stärker werdenden Versuchungen der Abschottung und Verweigerung von Dialog und Begegnung entgegen.

„Jerusalem zwischen Anspruch und Wirklichkeit“: „Der Anspruch und die Vision von Jerusalem als Stadt des Friedens entsprechen leider nicht der historischen Realität“, erklärte Botschafter a.D. Dr. Mordechay Lewy, zu einer Veranstaltung des Katholischen Bildungswerks Bonn am 1. Dezember 2022: „Der ständige Konkurrenz- und Verdrängungskampf unter den ansässigen ethnischen und religiösen Gemeinschaften in Jerusalem ist als ein Mikrokosmos der seit Jahrhunderten herrschenden Konflikte im Nahen Osten zu verstehen, die alle aus der Zeit vor Staatsgründung Israels 1948 stammen. Als Sonderberater hatte ich eine einmalige Gelegenheit deren Überlebenskämpfe aus nächster Nähe zu erleben. Ich sah als meine Aufgabe, ihnen so weit wie möglich eine helfende Hand zu reichen. Sie sahen in mich ein wenig als deren Klagemauer in einer nicht sonderlich freundlich gesinnten Stadtverwaltung.“

Unser Gesprächspartner: Dr. Mordechay Lewy, Jahrgang 1958, israelischer Diplomat und Historiker, wuchs in Tiberias, Berlin und Jerusalem auf, leistete dort seinen Militärdienst und studierte Geschichte. Im diplomatischen Dienst kam er nach Deutschland, war in der israelischen Botschaft in Bonn und Botschaftsrat in Stockholm. 1991-1994 leitete er das israelische Generalkonsulat in Berlin, war 1994-1997 israelischer Botschafter in Thailand und Kambodscha, im Außenministerium und bis 2004 wieder an der Botschaft in Deutschland. 2004-2008 wirkte er als Sonderberater für die religiösen Angelegenheiten der christlichen und muslimischen Gemeinschaften in der Heiligen Stadt beim Bürgermeister von Jerusalem und wurde 2008-2012 israelischer Botschafter beim Heiligen Stuhl. Sein vollständiger Lebenslauf hier.

Weltfriedenstag 2022: 1967 erklärte Papst Paul VI. den Neujahrstag zum Weltfriedenstag; zu diesem Anlass veröffentlicht der Papst zuvor eine Botschaft, die den Oberhäuptern aller Staaten übermittelt wird, mit denen der Heilige Stuhl Beziehungen unterhält. Die aktuelle Botschaft von Papst Franziskus zum diesjährigen Weltfriedenstag trägt den Titel „Niemand kann sich allein retten. Nach Covid-19 neu beginnen, um gemeinsam Wege des Friedens zu erkunden“ und fordert von der Menschheit, aus der Corona-Pandemie zu lernen und Konsequenzen zu ziehen. Als wichtigste Lektion der durch das Virus ausgelösten weltweiten Krise sieht der Papst die Erkenntnis, „dass wir alle einander brauchen“ und dass unser größter, wenn auch zerbrechlichster Schatz die menschliche Geschwisterlichkeit“ als Kinder Gottes sei: „Nur in Geschwisterlichkeit und Solidarität sind wir in der Lage, Frieden zu schaffen, Gerechtigkeit zu gewährleisten und die schmerzlichsten Ereignisse zu überwinden.“ Nur ein Friede, der „aus geschwisterlicher und uneigennütziger Liebe entsteht“, könne persönliche, gesellschaftliche und weltweite Krisen zu überwinden helfen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine sei „zusammen mit all den anderen Konflikten rund um den Globus eine Niederlage für die ganze Menschheit und nicht nur für die direkt beteiligten Parteien“, so der Papst, der in seiner Botschaft dazu appelliert, sich „für die Heilung unserer Gesellschaft und unseres Planeten einzusetzen und die Grundlagen für eine gerechtere und friedlichere Welt zu schaffen“, zu einem Gemeinwohl, das „wirklich alle einschließt“. Die vielen moralischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krisen der Gegenwart seien „alle miteinander verbunden“, und jene Probleme, die wir isoliert betrachten, seien „in Wirklichkeit die Ursache oder die Folge der anderen“. Konkret fordert der Papst Einsatz für eine umfassende Gesundheitsversorgung und für Frieden. Konflikte und Kriege verursachten fortwährend nur Opfer und Armut. Völker und Nationen müssten gemeinsam wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel treffen, Ungleichheit bekämpfen und „Nahrung und menschenwürdige Arbeit für alle sicherstellen“. Wortlaut: Botschaft des Heiligen Vaters Franziskus zum 56. Weltfriedenstag am 1. Januar 2023

Sonntag, 15.01.2023