Gedenken und Erinnern

von Christof Beckmann

Sonntag, 10.11.2019

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Im November drängeln sich Gedenk- und Jahrestage zum Gedächtnis an Revolution, Putsch, den Holocaust und den Mauerfall. Doch erinnern fällt schwer. Schüler haben sich jetzt an einem Videoprojekt zu den Lübecker Märtyrern beteiligt. Heute ist ihr Todestag.

INFO: Diese Tage haben es in sich: Am 9.11.1918 wurde die Republik ausgerufen, am 11.11.1918 endete der Erste Weltkrieg, am 9.11.1923 scheiterte der Hitler-Ludendorff-Putsch in München, am 9.11.1938 durchlitten die deutschen Juden die „Reichspogromnacht“, den Beginn des Holocaust, und am 9. November 1989 fiel die deutsch-deutsche Grenze mit ihrer Mauer. Und es gibt einen weiteren Gedenktag, der in der katholischen Kirche jedes Jahr auf dem 10. November liegt – es ist der Todestag der vier „Lübecker Märtyrer“.

Mitte September 2019 wurden in der Lübecker Katharinenkirche zu ihrem Leben und Schicksal neue Kurzfilme vorgestellt. Sie portraitieren die vier Geistlichen, die am 10. November 1943 kurz hintereinander in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg am Holstenglacis durch das Fallbeil hingerichtet wurden. Grund war ihre öffentlich geäußerte Kritik an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Die drei katholischen Geistlichen wurden am 25. Juni 2011 seliggesprochen, an Stellbrink wird seit 1969 im Evangelischen Namenkalender erinnert. Alle Kurzfilme sind mit begleitenden Powerpoint-Präsentationen, Fotos und weiteren Texten zur Nutzung in Unterricht, Jugendarbeit, Konfirmations- und Firmvorbereitung auf der Homepage www.luebeckermaertyrer.de online abrufbar.

Die Initiative zur Produktion der Videos hatte die Erzbischöfliche Stiftung Lübecker Märtyrer 2017 ergriffen. Um die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit der Zeit des Nationalsozialismus am konkreten Beispiel der Lübecker Märtyrer zu fördern, entstanden vier kürzere Filmen (ca. 4-9 Minuten) und Begleitmaterial für den Einsatz im Schulunterricht, in der Konfirmations- und Firmvorbereitung und in der Jugendarbeit. Die konzeptionelle Erarbeitung übernahmen Schülerinnen und Schüler aus vier Klassen (9.-12. Jahrgang) von verschiedenen Schulen (Katharineum zu Lübeck, Johanneum Lübeck, Geschwister-Prenski-Gemeinschaftsschule Lübeck, Elisabeth-Selbert-Gemeinschaftsschule Bad Schwartau). Sie lieferten nach einer thematischen Beschäftigung im Unterricht und dem Besuch der beiden Gedenkausstellungen in Lübeck wesentliche Ideen für die filmischen Inhalte und Schwerpunkte. Im Rahmen eines Wettbewerbes bewerteten Sie aus ihrer Perspektive die vorgelegten Produktionskonzepte. Die Kosten für das Gesamtprojekt trugen das Erzbistum Hamburg, die Franz von Sales-Medienstiftung des Deutschen Bonifatiuswerks, der ökumenischen Verein Andere Zeiten e.V. und die Erzbischöflichen Stiftung Lübecker Märtyrer. LINK: http://www.luebeckermaertyrer.de/de/filme-und-material/index.html

76. Todestag der Lübecker Märtyrer: Am 10.11.1943 wurden die Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek mit dem Pastor Karl Friedrich Stellbrink im Hamburger Gefängnis am Holstenglacis mit dem Fallbeil hingerichtet. Die ab 1939 an der Lübecker Hauptkirche Herz Jesu tätigen drei katholischen Kapläne und der evangelische Pastor schlossen sich in ökumenischem Widerstand gegen das NS-Regime zusammen, kamen durch gezielte Denunziationen ins Visier der Gestapo, wurden verhaftet und durchlitten eine lange und qualvolle Haftzeit im Lübecker Gefängnis am Burgtor, später in Hamburg. Im Sommer 1943 wurden die vier Seelsorger durch einen eigens zusammengestellten Sondersenat des sogenannten „Volksgerichtshofs“ wegen „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“ zum Tode verurteilt.

Als herausragende Figur der Gruppe gilt der 1911 in einfachen Verhältnissen in Hamburg-Barmbek geborene Johannes Prassek. Er legte am Hamburger Johanneum 1931 das Abitur ab und ging zum Theologiestudium an die Jesuiten-Hochschule Sankt-Georgen in Frankfurt am Main. 1933 wechselte er nach Münster, 1935 ins Priesterseminar nach Osnabrück. Nach der Priesterweihe am 13. März 1937 im Dom zu Osnabrück und einer Vikarstelle im mecklenburgischen Wittenburg kam er 1939 an die Lübecker Pfarrei Herz-Jesu, wo er schnell einen guten Ruf als Prediger bekam. In Gesprächskreisen, insbesondere mit Soldaten, sprach er offen über den Nationalsozialismus, kirchenfeindliche Politik des Regimes, Krieg und Verhalten der Machthaber. Prassek lernte Polnisch für die verbotene Seelsorge an Zwangsarbeitern. Mit dem 17 Jahre älteren evangelischen Pastor Karl-Friedrich Stellbrink tauschte er ab Sommer 1941 Informationen über „feindliche“ Rundfunksender und verteilte Flugschriften – u.a. von Clemens August von Galen, Bischof von Münster. Ein Spitzel zeigte Prassek an, er kam am 18. Mai 1942 in das Marstall-Gefängnis des Burgkloster-Gebäudes und wartete mit Stellbrink und den ebenfalls verhafteten Kaplänen Hermann Lange und Eduard Müller über ein Jahr lang auf den Prozess, für den eine eigener Sonderkammer des sog. „Volksgerichtshofs“ zusammengestellt wurde. Aus seiner Gefangenschaft sind zahlreiche Briefe erhalten.

Schon lange vor Prozessbeginn stand ihr unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 24. Juni 1943 gefälltes Todesurteil wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Rundfunkverbrechen, Zersetzung der Wehrkraft und landesverräterischer Feindbegünstigung“ fest. Hitler selbst hatte sich in den Prozess eingeschaltet und jedwede Rechtsmittel untersagt. Am Mittag des 10. Novembers erfuhren die Lübecker Märtyrer im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis von der Vollstreckung des Todesurteils um 18 Uhr. Interventionen und ein Gnadengesuch des Osnabrücker Bischofs Wilhelm Berning (1877–1955) beim Justizminister und beim Vizepräsidenten des Volksgerichtshofs waren erfolglos. Die vier Geistlichen starben im Abstand von vier Minuten durch das Fallbeil.

Das 2004 im Erzbistum Hamburg begonnene Seligsprechungsverfahren für die drei Kapläne Prassek, Müller und Lange wurde 2010 in Rom abgeschlossen. Bei ihrer Seligsprechung am 25. Juni 2011 vor der katholischen Propsteikirche Herz Jesu in der Lübecker Altstadt wurde Pastor Stellbrink ehrenvoll erwähnt. Sie gelten in ihrem gemeinsamen Zeugnis für ihren Glauben als Beispiel wirklicher Ökumene.

Mehr: Die Internetseite www.luebeckermaertyrer.de versammelt Porträts der vier Geistlichen, ihre Abschiedsbriefe, eine Dokumentation der Seligsprechung, Texte, Predigten, Gedenkorte und Termine. Mehr auch auf Facebook: http://www.facebook.com/luebeckermaertyrer.

Sonntag, 10.11.2019