Europa hat die Wahl

von Stefan Klinkhammer

Sonntag, 26.05.2019

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Es sind turbulente Zeiten – Brexit hin oder her, Staatskrisen und ruppige Töne aus vielen Ecken. Papst Franziskus lässt das Thema Europa nicht kalt. Das hat er oft bewiesen. Vatikan-Korrespondent Burkard Jürgens ordnet die Position des Papstes ein...

INFO: Bei der 9. Direktwahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai sind in Deutschland rund 64,8 Millionen Menschen wahlberechtigt. Davon sind etwa 60,8 Millionen Deutsche und rund 3,9 Millionen weitere EU-Bürger, die ihr Wahlrecht in Deutschland oder ihrem Herkunftsstaat ausüben können. Deutschland wird weiterhin mit 96 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten sein. Die Gesamtzahl der Abgeordneten wird sich von derzeit 751 auf 705 verringern, falls Großbritannien die EU verlässt. Mehr: http://www.bpb.de/politik/wahlen/europawahl-2019/

Papst Franziskus und Europa: Papst Franziskus hat als Sohn italienischer Migranten nach Argentinien eine starke Verbindung zum europäischen Kontinent. Er hat zur Geschichte und Zukunft Europas vielfach Stellung genommen und unter anderem bei seinem Besuch im EU-Parlament (25. November 2014), bei der Verleihung des Karlspreises (6. Mai 2016) und beim Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder zum 60. Jahrestag des „Vertrags von Rom“ (24. März 2017) viel diskutierte Fragen zur Zukunft und Ausrichtung der EU aufgeworfen.

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS AN DEN EUROPARAT, Straßburg, Frankreich, Dienstag, 25. November 2014 „... Und so haben wir heute das Bild eines verletzten Europas vor Augen, aufgrund der vielen Prüfungen der Vergangenheit, aber auch aufgrund der gegenwärtigen Krisen, die es anscheinend nicht mehr mit der früheren Lebenskraft und Energie zu bewältigen vermag. Ein etwas müdes, pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt. Wir können Europa fragen: Wo ist deine Kraft? Wo ist jenes geistige Streben, das deine Geschichte belebt hat und durch das sie Bedeutung erlangte? Wo ist dein Geist wissbegieriger Unternehmungslust? Wo ist dein Durst nach Wahrheit, den du der Welt bisher mit Leidenschaft vermittelt hast? Von der Antwort auf diese Fragen wird die Zukunft des Kontinentes abhängen. ... Europa muss darüber nachdenken, ob sein gewaltiges Erbe auf menschlichem, künstlerischem, technischem, sozialem, politischem, wirtschaftlichem und religiösem Gebiet ein bloßes museales Vermächtnis der Vergangenheit ist, oder ob es noch imstande ist, die Kultur zu inspirieren und seine Schätze der gesamten Menschheit zu erschließen...:“

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS AN DAS EUROPAPARLAMENT, Straßburg, Frankreich, Dienstag, 25. November 2014: „... Heute spielt die Förderung der Menschenrechte eine zentrale Rolle im Engagement der Europäischen Union, mit dem Ziel, die Würde der Person zu stützen, sowohl innerhalb Europas als auch in der Beziehung zu den anderen Ländern. Es handelt sich um ein wichtiges und bewundernswertes Engagement, denn es bestehen immer noch zu viele Situationen, in denen Menschen wie Objekte behandelt werden, deren Empfängnis, Gestaltung und Brauchbarkeit man programmieren und sie dann wegwerfen kann, wenn sie nicht mehr nützlich sind, weil sie schwach, krank oder alt geworden sind. In der Tat, welche Würde besteht, wenn die Möglichkeit fehlt, frei die eigene Meinung zu äußern oder ohne Zwang den eigenen Glauben zu bekennen? Welche Würde ist möglich ohne einen klaren juristischen Rahmen, der die Gewaltherrschaft begrenzt und das Gesetz über die Tyrannei der Macht siegen lässt? Welche Würde kann jemals ein Mensch haben, der zum Gegenstand von Diskriminierung aller Art gemacht wird? Welche Würde soll jemals einer finden, der keine Nahrung bzw. das Allernotwendigste zum Leben hat und – schlimmer noch – dem die Arbeit fehlt, die ihm Würde verleiht? Die Würde des Menschen zu fördern, bedeutet anzuerkennen, dass er unveräußerliche Rechte besitzt, deren er nicht nach Belieben und noch weniger zugunsten wirtschaftlicher Interessen von irgendjemandem beraubt werden kann. ... Liebe Europaabgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und vertrauensvoll in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine Gegenwart zu leben. Es ist der Moment gekommen, den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit!“

VERLEIHUNG DES KARLSPREISES- ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS, Regia-Saal (Vatikan) Freitag, 6. Mai 2016: „Nach Jahren tragischer Auseinandersetzungen, die im furchtbarsten Krieg, an den man sich erinnert, gipfelten, entstand mit der Gnade Gottes etwas in der Geschichte noch nie dagewesenes Neues. Schutt und Asche konnten die Hoffnung und die Suche nach dem Anderen, die im Herzen der Gründungsväter des europäischen Projektes brannten, nicht auslöschen. Sie legten das Fundament für ein Bollwerk des Friedens, ein Gebäude, das von Staaten aufgebaut ist, die sich nicht aus Zwang, sondern aus freier Entscheidung für das Gemeinwohl zusammenschlossen und dabei für immer darauf verzichtet haben, sich gegeneinander zu wenden ... Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit?“

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS AN DIE STAATS- UND REGIERUNGSCHEFS DER EU ZUM 60. JAHRESTAG DES „VERTRAGS VON ROM“, Sala Regia (Vatikan) Freitag, 24. März 2017: „...Europa findet wieder Hoffnung, wenn der Mensch die Mitte und das Herz seiner Institutionen ist. ... Europa findet wieder Hoffnung in der Solidarität, die auch das wirksamste Heilmittel gegen die modernen Formen des Populismus ist. ... Europa findet wieder Hoffnung, wenn es sich nicht in die Angst falscher Sicherheiten einschließt. .. wenn es in die Entwicklung und den Frieden investiert. ... wenn es sich der Zukunft öffnet. ... die Europäische Union ist heute gerufen, sich zu prüfen sowie die unvermeidlichen Beschwerden, die mit den Jahren einhergehen, zu behandeln und neue Pfade zu finden, um den eigenen Weg fortzusetzen. Im Unterschied zu einem sechzigjährigen Menschen aber hat die Europäische Union nicht ein unausweichliches Altwerden vor sich, sondern die Möglichkeit einer neuen Jugend. Ihr Erfolg wird vom Willen abhängen, weiter zusammenzuarbeiten, und von der Lust, auf die Zukunft zu setzen. Es ist Ihre Aufgabe als Verantwortungsträger, den Weg zu einem „neuen europäischen Humanismus“ auszumachen, der aus Idealen und konkreter Umsetzung besteht. Dies bedeutet, keine Angst davor zu haben, wirksame Entscheidungen zu übernehmen, die auf die realen Probleme der Menschen Antwort geben und der Erprobung durch die Zeit standhalten können. Meinerseits kann ich nur versichern, dass der Heilige Stuhl und die Kirche ganz Europa nahe ist. An seinem Aufbau hat die Kirche stets mitgewirkt und wird immer mitwirken ...“

Weitere interessante Texte: Bischof Gianni Ambrosio, Vizepräsident der COMECE: Europa neu denken, um Europa zu erneuern; Friedhelm Hengsbach, emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaft: Europa muss sich neu erfinden!

Kirchen zur Wahl des Europäischen Parlaments 2019: In einem gemeinsamen Wahlaufruf wandten sich der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am 6. Mai an die Öffentlichkeit. Der Wortlaut: „Europa zur gemeinsamen Sache machen! - Aufruf der Kirchen zur Teilnahme an der Europawahl

Weitere Dokumente, Stellungnahmen, Kampagnen, Dossiers zum Thema Europa und Wahlaufrufe zur Europawahl hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auf einer Internetseite zur Europawahl versammelt. Zur Website: https://www.europa-stimmt.eu/

Unser Gesprächspartner: Vatikankorrespondent Burkhard Jürgens (geb. 1967) studierte katholische Theologie in Freiburg und Jerusalem. Nach Promotion in Münster journalistische Ausbildung und Tätigkeit als theologischer Redakteur für die Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück. 2005 Wechsel zur Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) als Korrespondent in Rom, seit 2010 Redakteur im Auslandsressort der KNA-Zentralredaktion in Bonn.

9. Direktwahl zum Europäischen Parlament: In den 28 EU-Mitgliedsländern sind zwischen dem 23. und 26. Mai 2019 rund 400 Millionen wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger zur Wahl aufgerufen. Die Stimme wird für die Liste einer der zur Wahl zugelassenen Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen abgegeben. In Deutschland treten 41 Parteien und Vereinigungen an, die auf ihren geschlossenen Listen die Reihenfolge ihrer einzelnen Kandidaten vorher festgelegt haben. In allen 16 Bundesländern kandidieren dabei fast alle mit einer gemeinsamen Bundesliste.
Allein in der Bundesrepublik Deutschland sind nach Angaben des Bundeswahlleiters 64,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt - 60,8 Millionen Deutsche und 3,9 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger, davon 33,2 Millionen Frauen und 31,6 Millionen Männer. Rund 5 Millionen sind Erstwähler, die zum ersten Mal das Europäische Parlament in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl bestimmen können. Die deutschen Wahlberechtigten bestimmen die 96 Abgeordneten, mit denen Deutschland im Europäischen Parlament vertreten sein wird. Die Gesamtzahl der Abgeordneten wird sich von derzeit 751 auf 705 verringern, wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt.

Nordrhein-Westfalen hat Gewicht: In Nordrhein-Westfalen sind mit rund 13,8 Millionen wahlberechtigten Personen fast 14 Prozent aller Wähler in Deutschland zur Wahl gerufen – mit deutlichem Abstand vor Bayern (10,2 Prozent) und Baden-Württemberg (8,5). Das Bundesland hat schon für sich allein auch europaweit keine geringe Bedeutung: NRW ist nach seiner Bevölkerungszahl schon größer als zwei Drittel aller EU-Mitgliedsstaaten, liegt noch vor den Niederlanden, Griechenland, Belgien, Portugal oder Ungarn und zählt fast doppelt so viel Einwohner wie Schweden oder Österreich. Als wirtschaftlich stärkstes Bundesland innerhalb Deutschlands belegte NRW im Jahr 2017 mit einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von rund 693 Milliarden Euro im EU-europäischen Vergleich den sechsten Platz im Ranking zwischen den EU-Staaten (ohne Deutschland) nach Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden.

Interessante Fakten vor der Wahl: Interessante weitere Themen zur Europawahl hat das Statistische Landesamt (Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen) am 20. Mai 2019 unter der Frage „Wieviel Europa steckt in Nordrhein-Westfalen?” aus verschiedenen Statistiken zusammengetragen. Vorgestellt werden Zahlen und Daten aus den vier Themenschwerpunkten Menschen, Mobilität, Wirtschaft und Politik. Mit den sogenannten „Wahlprofilen“ stehen im Internetangebot des Statistischen Landesamtes stehen auch die Wahlergebnisse der letzten 40 Jahre für jede der 396 Städte und Gemeinden von NRW zur Verfügung, im Webshop steht die Publikation „Europawahl – Heft 1: Ergebnisse früherer Wahlen in Nordrhein-Westfalen 2019” zum Download bereit.

Aktuelle Ergebnisse auf IT.NRW: Aktuell informiert wird am Wahlsonntag, 26. Mai 2019, ebenfalls: Im Auftrag des Landeswahlleiters präsentiert Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) unter der Adresse www.wahlergebnisse.nrw.de die vorläufigen amtlichen Ergebnisse der Europawahl in Nordrhein-Westfalen im Internet. Die Daten sollen am Wahlabend ständig aktualisiert werden und stehen dann in Form von Tabellen, Grafiken (HTML-Tabellen, CSV- und PDF-Dateien) und Karten zum Abruf bereit. Das Informationsangebot umfasst neben aktuellen Daten zum Vergleich auch die Ergebnisse früherer Wahlen. Mit dem Vorliegen erster Resultate zur Europawahl 2019 rechnen die Statistiker am Wahlabend gegen 20:00 Uhr.

Weitere Links:
Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zur Europawahl
Wahlinformationen des Europäisches Parlament / Verbindungsbüro in Deutschland
EUROPAWAHL 2019: Ergebnisse früherer Wahlen in Nordrhein-Westfalen

Sonntag, 26.05.2019