Die Mauer von Stiepel: Mauern überwinden

von Stefan Klinkhammer

Sonntag, 10.11.2019

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Die „Stiepel Mauer“, Foto: KiP-NRW

Gestern jährte sich der Mauerfall in Berlin zum 30. Mal. Daran erinnert seit langem auch ein Denk- und Mahnmal im Ruhrgebiet – eine Mauer aus Glas: Bei den Zisterziensern in Bochum-Stiepel wissen sie, wie Grenzen entstehen und wie sie verschwinden.

INFO: Ein Stück der am 9. November 1989 gefallenen Mauer findet sich an vielen Orten der Welt - auch im Zisterzienserkloster Bochum-Stiepel. Bereits kurz nach der Wende hatten sich die Zisterzienser um ein Stück der Mauer bemüht. Durch Vermittlung von Norbert Lammert MdB wurde ein 2,5 Tonnen schweres und etwa 3,5 Meter hohes und mit Graffiti besprühtes Teil der Mauer vom Potsdamer Platz in Berlin gesichert, das aber erst nach vielen Jahren im Klostergarten gelagert werden konnte. Vor dem 25. Jahrestag der Deutschen Einheit fand es schließlich seinen heutigen Standort direkt neben dem Eingang der Wallfahrtskirche in Bochum. Die mit drei gläsernen Stelen ergänzte „Stiepeler Mauer“ wurde am 13. September 2015 im Anschluss an einen Festgottesdienst eingeweiht. Stifter sind die Eheleute Werner und Anneliese Deschauer, Mitglieder der Pfarre St. Marien Bochum-Stiepel und Familiare des Zisterzienserordens, die 1957 bzw. 1955 aus der DDR flohen und von der thüringischen Rhön über verschiedene Stationen nach Bochum kamen, wo sich das Unternehmerpaar bis heute engagiert. Die bauliche Ausführung übernahmen die Essener Architekten Ansgar Rebbelmund und Frank Eickelkamp.

Die Denk-Mal-Idee: Ausgangspunkt war die von den Bochumer Zisterziensern mit Michael Jochim (Smply.gd) entwickelte Umsetzung eines Psalmverses, der die Grundidee für das Mahnmal an herausgehobener Stelle verdeutlicht. Der Satz „Mit meinem Gott überwinde ich Mauern“ (Psalm 18.30) soll das Trennende der Mauer auf Annäherung, Verstehen und Versöhnung hindeuten. Dazu wurden auf den Glasstelen fünf farbige Konfliktlinien markiert, von denen die Menschheit bis heute gezeichnet ist. Zudem sind zahlreiche Zitate von Menschen auf das Glas aufgebracht, die für die Überwindung von Konflikten eingetreten sind. Damit geht es bei diesem Denk-Mal nicht allein um die Erinnerung an die deutsch-deutsche Teilung und den überwundenen West-Ost-Konflikt, sondern um viele Mauern, die sehr viel grundlegender, und in vielfältiger Weise das Miteinander verhindern. Sinn des durchsichtigen Bauwerks ist, sich über bestehende Mauern bewusst zu werden – gleichzeitig aber dazu einzuladen, „Mauern im Kopf“ einzureißen und keine neuen entstehen zu lassen.

Dazu entstanden zahlreiche Unterrichtsmaterialien für Schulen, die auf einer im April 2018 veröffentlichten Homepage zur Verfügung stehen. Durch sie sollen junge Menschen lernen, Mauern – materielle wie ideologische – nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie zu überwinden. Die maßgeblich vom Dezernat Schule und Hochschule des Bistums Essen entwickelte Website thematisiert mit fünf Konfliktlinien verschiedene Arten von Mauern zwischen Menschen: ethnisch begründete, religiöse, Arm und Reich, Männern und Frauen, Ost und West. Für die didaktische Aufarbeitung in Gruppen und Klassenzimmern ist auch ein transportables Modell aus drei beschreibbaren Stelen und einer Nachbildung des Original-Mauerstücks entstanden. Interessante Links, Sachtexte, Arbeitsblätter, Unterrichtsvorschläge sowie audiovisuelle Medien zur Stiepeler Mauer sind in einem separaten Materialbereich zusammengestellt. Mehr: www.mauern-ueberwinden.de.

Unser Gesprächspartner: Prior Pater Andreas Wüller ist seit dem 2. Februar 2018 Prior des Zisterzienserklosters in Bochum-Stiepel. Zuvor leitete er 25 Jahre lang St. Marien, die Pfarrei des Klosters, das auf Wunsch von Kardinal Franz Hengsbach 1988 von der Mutterabtei Stift Heiligenkreuz bei Wien in Österreich gegründet wurde. In Bochum leben heute 16 Mönche nach der Regel des Hl. Benedikt, die vor allem in der Pfarr-, Wallfahrts- und Jugendseelsorge tätig sind. Die Klosterkirche ist zugleich Marienwallfahrtsort, zu dem jedes Jahr rund 50.000 Pilger wallfahren. Kontakt: Zisterzienserkloster Stiepel, Am Varenholt 9, 44797 Bochum, Tel. 0234 / 77705-0, Fax 0234 / 77705-18, E-Mail Klosterpforte für allgemeine Auskünfte und Klosterführungen: klosterpforte@kloster-stiepel.de, E-Mail an Mitbrüder: info@kloster-stiepel.de, Internet: https://www.kloster-stiepel.org/

Zisterzienser: Die Zisterzienser entstanden durch Reformen im Benediktinerorden und gehören zu den strengsten Orden der katholischen Kirche. Sie führen in der Tradition der Gründer des 1098 gegründeten strengen Reformklosters in Cîteaux ein Leben des Gebets, der Lesung und der Arbeit. Für ihren Aufstieg sorgte vor allem der Hl. Bernhard von Clairvaux (1090-1153). Im ausgehenden Mittelalter erreichte die Zahl der Niederlassungen rund 1.600 Männer- und Frauenklöster, von denen gut 400 die Reformation und Säkularisation überlebten. Heute leben in mehr als 300 Klöstern weltweit rund 4.000 Mönche und 2.300 Schwestern. In Deutschland gibt es derzeit zwei Männerklöster der Zisterzienser: Marienstatt im Westerwald und Langwaden/Niederrhein; ein drittes, Himmerod/Eifel, wurde jüngst aufgelöst - sowie ein Priorat in Bochum-Stiepel. 2017 besiedelten Zisterzienser aus dem österreichischen Heiligenkreuz das Kloster Neuzelle in Brandenburg neu. In den fünf deutschen Frauenabteien leben zurzeit rund 190 Schwestern. Zu den heutigen Aufgaben des Ordens zählen geistliche Begleitung von Gästen, Pfarrseelsorge sowie die Trägerschaft von Verlagen, Schulen und Kliniken. Mehr: http://www.ocist.org/.

Sonntag, 10.11.2019