"Wir werden den Jahrestag in aller Stille begehen"

von Manfred Rütten

Sonntag, 10.07.2022

Die durch das Juli-Hochwasser 2021 zerstörte Innenstadt in Bad Münstereifel
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Juli 2021: Die zerstörte Innenstadt in Bad Münstereifel. (Foto: Marcel Felten/Diakonie RWL)

„Die Menschen hier im Ahrtal blicken mit Respekt auf diesen Tag“, sagt Notfallseelsorgerin Sabine Elsemann über den bevorstehenden Jahrestag der Flukatatstrophe am 14. Juli 2022 und sie verspricht: „Wir werden ihn gemensam mit den Menschen durchstehen.“

Elsemann und ihr mobiles Seelsorgeteam sind seit Monaten in den Dörfern entlang des Ahrtals unterwegs, um die Beroffenen der Flutkatastrophe psychosozial zu begleiten und auch mit ganz praktischen Hilfen zu unterstützen: „Wir leben hier mit den Menschen im Tal, die Leute haben Vertrauen zu uns, unsere blauen Jacken und T-Shirts der Diakonie Katatstrophenhilfe sind zum Erkennungszeichnen geworden und die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, haben unsere Telefonnummern. Sie können sich jederzeit an uns wenden.“

Das passiert immer wieder. Entweder wollen die Betroffenen ihren Frust und Ärger über den schleppenden Fortschritt beim Wiederaufbau loswerden, oder sie brauchen konkrete Unterstützung, etwa bei der Beantragung von Spendengeldern für Möbel, Haushaltsgeräte und andere Dinge. Ein weiterer Grund, die Seelsorger zu rufen, sind die traumatischen Erfahrungen aus der Flutnacht, die viele immer noch mit sich herumschleppen.

„Insbeondere jetzt in der letzten Zeit hat es viel Starkregen und Gewitter gegeben“, erklärt Sabine Elsemann. „Das ist immer eine ganz sensible Situation, wo man selber schon – auch als nicht Betroffener – guckt: Wie ist das Wasser der Ahr? Wie sieht das aus, wie hoch sind die Pegel und wie viel regnet es wo?“ In manchen Fällen reiche ein Regenschauer, um bei den Opfern die grausamen Erinnernungen an die Flutnacht wieder wachzurufen.

Zu den Betroffenen gehört Gabi Gasper. Se erlebte das Hochwasser zusammen mit ihrem Mann in ihrem Haus in Altenburg im Ahrtal. Die Ereignisse verfolgen sie bis heute. Zwei Mal war sie schon in einer Klinik zur psychatrischen Behandlung und erzählt: „Ich habe die schlimmsten Panikattacken und Angstzustände meines Lebens gehabt jetzt nach der Flut. Wenn es regnet ist es natürlich besonders schwierig für uns. Ich muss dazusagen: Meine engste Familie ist mit sechs Häusern abgesoffen. Es wird noch viele Jahre dauern, bis alles wieder aufgebaut ist.“

Nun steht am 14. Juli 2022 der erste Jahrestag der Flutkatatstrophe an und damit wohl auch ein öffentliches Erinnern. Bereits am Sonntag, 10. Juli, fndet in der Dreieinigkeitskirche in Eschweiler (Kirchenkreis Jülich) ein Gottesdienst statt, der live im Radio übertragen wird. Zu hören ist er von 10 bis 11 Uhr bei WDR 5 und NDR Info. Zwei Betroffene werden im Gottesdienst von ihren Erfahrungen während der Flutnacht und danach berichten. Die Predigt hält Präses Dr. Thorsten Latzel.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung lädt am 14. Juli zu einer Gedenkfeier in die Kirche Herz Jesu im rheinischen Euskirchen ein. An dem ökumenischen Gottesdienst werden nach Angaben der Staatskanzlei in Düsseldor neben Hinterbliebenen der Opfer auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) teilnehmen. Außerdem werden Mitglieder des Landeskabinetts, Vertreter der Kirchen, des Landtags, der Hilfsorganisationen sowie der vom Hochwasser betroffenen Kommunen erwartet.

Mit einem gemeinsamen Gottesdienst wollen die Evangelische Kirche im Rheinland und das Bistum Trier am Freitag, 15. Juli, um 16 Uhr auf der Wiese vor der Auferstehungskapelle (Denntalstraße 2) in Ahrbrück ein Zeichen der Hoffnung setzen. In der entsprechenden Pressemitteilung vom 1. Juli 2022 heißt es dazu: „Im Gebet soll den Erfahrungen der betroffenen Menschen Raum gegeben werden: Frust und Trauer, aber auch Dankbarkeit für geschehene Hilfe, Solidarität und Perspektiven für die Zukunft. Der Gedenkfeier stehen Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann sowie Pfarrerin Claudia Rößling-Marenbach und Pfarrer Axel Spiller vor.

Auch der Landkreis Ahrweiler lädt am 14. Juli ab 17:30 Uhr zu einer öffentlichen Gedenkveranstaltung in den Kurpark von Bad Neuenahr-Ahrweiler ein, um an die Toten und Vermissten zu erinnern. Der Südwestrundfunk (SWR) überträgt die Veranstaltung, an der neben Betroffenen auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) und der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen (CDU) teilnehmen werden, live in seinem Fernsehprogramm. Der Park bietet Platz für etwa 2.000 Personen, doch es bleibt abzuwarten, ob tatsächlich soviele kommen.

Notfallseeslorgerin Sabine Elsemann vom mobilen Einsatzteam der Evangelischen Kirche im Rheinland erklärt dazu: „Die Leute hier gucken mit viel Respekt auf diesen Jahrestag, und eigentlich wollen viele einfach nur ihre Ruhe haben, unter sich sein, zusammensitzen. Wir haben uns angeboten, einfach da zu sein und wir werden die Menschen in dieser Nacht begleiten. Wir werden uns aufteilen, einfach als Gesprächspartner zur Verfügung stehen und die Nacht mit den Menschen durchstehen.“

Auch im schwer getroffenen Altenburg im Ahrtal wird man am 14. und 15. Juli zusammenkommen, erzählt Gabi Gasper: „Wir in Altenburg werden in aller Stille diesen Jahrestag begehen. Am 14. Juli werden wir uns in der Kapelle aufhalten und am 15. werden wir auf der Brücke ein Gedenken abhalten. In Altenburg sind in der Flutnacht drei Frauen ertrunken. Mit Erlaubnis der Verwandtschaft werden wir da Kränze niederlegen und Kerzen aufstellen und gehen dann in unser Zelt und werden da im Stillen diesen Abend verbringen.“

In Rheinland-Pfalz waren in der Flutnacht 134 Menschen ums Leben gekommen, weitere 49 starben in Nordrhein-Westfalen. Die geschätzten Schäden belaufen sich auf gut 29 Milliarden Euro. Davon entfallen allein rund 13 Milliarden Euro auf NRW.

Sonntag, 10.07.2022