„Kirchenaustritt - oder nicht?"

von Christof Beckmann

Sonntag, 11.03.2018

Platzhalterbild
Beitrag anhören

Tagung in der Akademie Wolfsburg / Buchtitel, KiP

Warum gehen so viele? Was ist zu tun? Diese Fragen beschäftigen viele, wenn sie auf die Kirche im Land schauen. Während sie weltweit wächst, scheint ihr Schicksal in Deutschland besiegelt. Oder doch nicht? Eine Tagung in Mülheim ging der Frage nach...

INFO: 162.000 Katholiken und 190.000 Protestanten verließen 2016 in Deutschland die Kirche. Der nur zwischenzeitlich stagnierende Trend hat Konsequenzen, die sich in sinkenden Kirchenbesucherzahlen, knapper werdenden finanziellen Mitteln, aber auch auf das flächendeckende Netz der kirchlichen Infrastruktur niederschlägt: Seit der Jahrtausendwende sind in Nordrhein-Westfalen mindestens 453 Kirchen, Kapellen und Gemeindehäuser geschlossen worden. Das ergab eine Umfrage des Bonner „General-Anzeigers“ vom 22. Februar 2018 in den fünf katholischen Bistümern und bei der Evangelischen Kirche im Rheinland. Danach verzeichnete die evangelische Kirche 203 Entwidmungen von Gottesdiensträumen, im Erzbistum Köln wurden 28 Gotteshäuser außer Dienst gestellt, im Bistum Münster 53, im Bistum Aachen 41 und im Erzbistum Paderborn 23.

Allein im Ruhrbistum Essen, dem mit rund 791.000 Mitgliedern jüngsten und kleinsten in NRW, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten 105 Kirchen dichtgemacht. Das erst 1958 aus Teilen der (Erz-)Bistümer Köln, Münster und Paderborn errichtete Bistum zählt heute nur noch 57 Prozent der ursprünglichen rund 1,4 Millionen Mitglieder. Bereits Bischof Hubert Luthe, der das Bistum 1992-2002 leitete, aber auch sein Nachfolger Felix Genn (2003-2009) hatten als Reaktion auf die rückläufige Katholikenzahl sowie auf sinkende Kirchensteuereinnahmen eine umfassende Strukturreform angestoßen. Dabei wurden die 259 Gemeinden zu 43 Großverbünden zusammengeschlossen, 96 der 368 Kirchengebäude aufgegeben. Seit 2009 setzt Bischof Franz-Josef Overbeck die tiefgreifende Strukturreform fort. Sie zielt auf eine Verlebendigung des vorhandenen Gemeindelebens, auf neue Formen der Beteiligung, auf größere Sichtbarkeit des kirchlichen Enagements, aber auch auf ein aktiveres Mitgliedermanagement. Eine frisch erschienene Studie „Kirchenaustritt - oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss" ist dazu jetzt der Frage der Kirchenbindung und den Gründen für den Kirchenaustritt nachgegangen.

Die bei einer Fachtagung am 28.02.-1.03.2018 in der „Akademie Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr vorgestellte Untersuchung unterstreicht bereits frühere Befunde. Nach ihnen ist die Kirchensteuer nicht der Grund, sondern der Auslöser für den Austritt. Vor allem bei jüngeren Menschen ist die Entfremdung von der Kirche allgemein besonders ausgeprägt: Die meisten Austritte werden bei den 23- bis 35-Jährigen verzeichnet, 2016 kamen im Bistum 42 Prozent der Ausgetretenen aus dieser Gruppe – eine auf längere Sicht schwierige Situation für das Bistum, weil diese Generation auf Dauer nicht nur in den Gemeinden, sondern auch finanziell fehlen wird. Bereits jetzt wird diese Lücke auf zwischen zwei und vier Millionen Euro pro Jahr beziffert, die nur durch die derzeit insgesamt sprudelnden Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Als Gegenmaßnahme empfehlen die Autoren u.a. eine Verbesserung der Qualität der Seelsorge, einen intensiveren Kontakt mit den Mitgliedern und eine Stärkung einer Haltung als Dienstleister. -> Bericht und Bilder

Das Buch: „Kirchenaustritt - oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss", Hgg. Markus Etscheid-Stams, Regina Laudage-Kleeberg, Thomas Rünker, Verlag Herder, Freiburg 2018, ISBN 978-3-451-38071-6, 25 Euro, Projekt-Homepage: kirchenstudie.bistum-essen.de, www.bistum-essen.de.

Sonntag, 11.03.2018