Kirchen fordern: AKWs in Belgien sofort abschalten

von Werner Beuschel

Sonntag, 19.02.2017

das Atomkraftwerk Doel in Belgien
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Die Atomanlage Doel in Belgien besteht aus vier Reaktoren, die zwischen 1975 und 1985 ans Netz gingen.

Trotz großer Sicherheitsbedenken sind die beiden belgischen Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 immer noch in Betrieb. Den Protesten von Umweltverbänden und Politik haben sich jetzt auch die Kirchen angeschlossen – mit deutlichen Worten.

"Wenn bewusst Risiken eingegangen werden, die vermeidbar sind, um möglichst viel mit den Kernkraftwerken zu verdienen, dann können wir nicht still bleiben und zugucken, dann müssen wir auch sagen: Ihr lieben Leute, stellt die energiewirtschaftlichen Interessen bitte nicht höher als die Interessen für das Leben in dieser Region." So begründet der Leiter des Evangelischen Kirchenkreises Gladbach-Neuss, Superintendent Dietrich Denker, das Protestschreiben, das er Ende Januar 2017 gemeinsam mit dem katholischen Regionaldekan Ulrich Clancett an die belgischen Kraftwerksbetreiber verschickt hat.

Die beiden Kirchenmänner reagierten damit auf Presseberichte aus den vergangenen Jahren, in denen den beiden Kraftwerksblöcken wiederholt gravierende Sicherheitsmängel attestiert worden waren. Bereits im Sommer 2012 ergaben Ultraschalluntersuchungen, dass sich an den Reaktordruckbehältern beider Kraftwerke Risse gebildet haben. Einer zweiten Untersuchung vom Dezember 2014 zufolge war deren Zahl zwei Jahre später deutlich gestiegen. Im Reaktor Doel 3 wurden demnach insgesamt 13.047 Risse entdeckt, im Druckbehälter von Tihange 2 waren es 3.149 Risse, wie die Internetseite der Bürgerzeitung Mönchengladbach meldet. Weiter heißt es dort: "Der Druckbehälter ist das Herzstück eines Atomreaktors, er beinhaltet unter anderem die hochradioaktiven Brennelemente, hier findet die nukleare Kettenreaktion statt. Ein plötzliches Versagen des Druckbehälters (…) könnte zu katastrophalen Freisetzungen radioaktiver Strahlung führen."

Sollte das passieren, wären auch grenznahe Regionen von NRW unmittelbar betroffen. Denn von Tihange 2 bis Mönchengladbach sind es Luftlinie nur 100 Kilometer, bis nach Aachen sind es sogar nur 60 Kilometer. Durch die vielen Risse besteht nach Ansicht des Gladbacher Superintendenten Dietrich Denker das Risiko, "dass es zu so einem Super-GAU kommen kann, und dann haben wir eine ähnliche Situation hier wie in Tschernobyl. Dann kann es zu einer Kernschmelze kommen, und dann ist die Region in einer großen Fläche je nach Wetter- und Windlage erst mal für viele Jahre nicht mehr bewohnbar. Und in so einem Gebiet wie hier - wo viele hunderttausend Menschen wohnen - ist es aus unserer Sicht völlig unverantwortlich, dann mit solchen Risiken die Kernkraftblöcke weiter zu fahren."

Ihr gemeinsames Protestschreiben an die Kraftwerksbetreiber haben Denker und Clancett auch als offenen Brief zugänglich gemacht. Dort heißt es unter anderem: "Wir katholischen und evangelischen Christinnen und Christen in der Region Mönchengladbach und im Rhein-Kreis Neuss stehen nach Gottes Willen in der Verantwortung für die Menschen, die hier leben und arbeiten. (…) Wir fordern deshalb, dass die nicht weit entfernt liegenden Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 umgehend abgeschaltet und vom Netz genommen werden. (…)

Mit unserem Appell erinnern wir die Betreiber der Kernkraftwerke und die Politikerinnen und Politiker in Belgien an ihre Verantwortung und fordern sie auf, die unabsehbaren Konsequenzen eines Störfalles durch Abschaltung zu verhindern. Wir tun dies in der Gewissheit, dass Gott uns seine Schöpfung anvertraut hat und der verantwortungsbewusste Umgang mit Mensch und Natur nach SEINEM Willen Risiken vermeidet und Schaden verhindert. Ein weiterer Betrieb dieser Pannen-Atomkraftwerke ist unverantwortlich, da unklar bleibt, ob die Stabilität der Druckbehälter noch gewährleistet ist. Die Zweifel werden aktuell wesentlich verstärkt, da bekannt geworden ist, dass das Wasser im Kühlsystem vorgewärmt werden muss, um einen thermischen Schock zu vermeiden, durch den die Stabilität der Reaktorbehälter massiv gefährdet würde." Die komplette Stellungnahme der Kirchen lesen Sie hier.

In Belgien sind an zwei Standorten insgesamt sieben Kernreaktoren in Betrieb. Vier davon liegen in der Nähe von Antwerpen: Doel 1 und Doel 2 gingen 1975 ans Netz. 1982 folgte der Reaktor Doel 3 und 1985 der Reaktor Doel 4. Am zweiten Standort etwa 25 Kilometer südwestlich von Lüttich sind die drei übrigen Kernkraftwerke angesiedelt: Tihange 1 ist seit 1975 in Betrieb, 1983 folgte Tihange 2 zwei Jahre später dann Tihange 3. Bereits lange vor dem Unglück von Fukushima hatte die belgische Regierung 2003 beschlossen, bis zum Jahr 2025 aus der Atomkraft auszusteigen. Doch dafür gibt es derzeit kaum Anzeichen. Weitere Infos hier.

Sonntag, 19.02.2017