Der Weihnachtsfrieden an der Westfront

von Christian Orschmann

Sonntag, 24.12.2017

1. Weltkrieg: Britische Soldaten im Schützengraben
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Britische Soldaten im Schützengraben während des 1. Weltkriegs, in dem zwischen 1914 und 1918 insgesamt 9,4 Millionen Soldaten fielen.

Am 24. Dezember 1914 legt die Menschen fressende Maschine des 1. Weltkriegs eine wundersame Pause ein: Deutsche, französische und britische Soldaten stellen an mehreren Stellen der Westfront die Kämpfe ein und feiern gemeinsam Weihnachten.

Seit Kriegsausbruch im August 1914 sind fünf Monate vergangen. Der Vormarsch der deutschen Truppen ist zum Erliegen gekommen, der Stellungskrieg beginnt. Auf beiden Seiten der Front graben sich die Soldaten in die Erde, um sich vor dem feindlichen Beschuss und der aufziehenden Kälte zu schützen. So auch im belgischen Flandern. Ein Labyrinth von Kampf- und Versorgungsgräben entsteht. Zwischen den deutschen und den alliierten Linien liegt das "Niemandsland". Manchmal ist es nur ein paar Dutzend Meter breit.

Berichten zufolge waren es die Deutschen, die nach Einbruch der Dunkelheit am 24. Dezember 1914 in ihren Schützengräben "Stille Nacht, heilige Nacht" und andere Weihnachtslieder anstimmten. Teilweise soll es an manchen Stellen auch kleine, leuchtende Tannenbäume gegeben haben. Die Gegner sind zunächst irritiert, stimmen dann aber in den Gesang ein. Geschossen wird in dieser Nacht nicht.

Der zarte Frieden hält auch am darauffolgenden 1. Weihnachtstag noch. Als die ersten Soldaten – mal sind es Deutsche, mal Alliierte - vorsichtig aus ihren Schützengräben klettern und auf die Gegenseite zugehen, folgen die Kameraden ihrem Beispiel. Die Gegner treffen sich im Niemandsland und bergen jeweils ihre Gefallenen – aber nicht nur das. Sie geben sich die Hände, wünschen sich "Frohe Weihnachten", scherzen, rauchen und trinken miteinander, zeigen sich gegenseitig Familienfotos.

In einem Bericht von 2014 zitiert die Deutsche Welle aus den Schilderungen eines deutschen Soldaten jener Tage: "Endlich kam der eine Engländer aus dem Graben heraus und hielt beide Hände hoch. In der einen Hand hielt er englische Zigaretten und Tabak. Der Engländer kam auf unsere Leute zu und wünschte ihnen ein frohes Weihnachten. Er reichte unseren Leuten die Hand, die den Gruß herzlich erwiderten." Und ein britischer Soldat erinnert sich: "Was für ein Tag. Wir tranken von ihrem Schnaps, von unserem Rum. Wir aßen gemeinsam, zeigten uns Fotos unserer Familien, lachten viel." An einer Stelle der Front - in der Nähe von Ypern - soll am 1. Weihnachtstag sogar ein Fußballspiel zwischen Deutschen und Briten stattgefunden haben.

Doch der Weihnachtsfrieden hielt nicht lange. Auf Druck der obersten Befehlshaber und der Offiziere wurde bereits am 26. Dezember in den vielen Abschnitten wieder geschossen. Verbrüderungsszenen an der Front wurden den Soldaten beider Seiten unter Androhung von Kriegsgerichtsverfahren verboten. Und je länger der Krieg dauerte, desto erbitterter wurde die Feindschaft zwischen Deutschen und Alliierten. Der spontane Frieden vom Heiligen Abend 1914 blieb deshalb bis zum Kriegsende am 11. November 1918 ein Einzelfall. Der 2005 erschienene Spielfilm "Merry Christmas" mit Daniel Brühl, Benno Fürmann, Diane Krüger und Gary Lewis setzt den Ereignissen von damals ein cineastisches Denkmal.

Sonntag, 24.12.2017